Streit um Gibraltar gefährdet Brexit-Abschluss

Premierministerin May empfing am Donnerstag Bundeskanzler Kurz in London.
Premierministerin May empfing am Donnerstag Bundeskanzler Kurz in London.(c) BUNDESKANZLERAMT/ARNO MELICHAREK (ARNO MELICHAREK)
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Die Verhandler von EU und Vereinigtem Königreich haben eine politische Grundsatzerklärung zum künftigen Verhältnis vorgelegt. Doch Spanien droht wegen der britischen Kronkolonie nach wie vor mit einem Veto.

Brüssel. Scheitert die Einigung über den Brexit an 6,5 Quadratkilometer Fels und Strand? Spaniens Regierung wich am Donnerstag nicht von ihrer Weigerung ab, wegen des Status von Gibraltar dem Abkommen über den geordneten Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU sowie einer politischen Grundsatzvereinbarung über die künftige Beziehung zwischen London und Brüssel zuzustimmen.

Ministerpräsident Pedro Sánchez erklärte am Mittwoch, er sei „enttäuscht, dass eine proeuropäische Regierung“ wie die seine von den anderen 26 EU-Mitgliedstaaten in dieser Frage im Stich gelassen werde. Der Text des Austrittsabkommens, über welches die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Brexit-Sondergipfeltreffen am Sonntag in Brüssel politische Einigung zu erzielen hoffen, müsse dahingehend geändert werden, dass die Zukunft Gibraltars bilateral zwischen Madrid und London verhandelt wird, statt, wie es nun aussieht, gemeinsam mit dem Vereinigten Königreich behandelt zu werden. Gelingt dies nicht, werde er dagegenstimmen.

Damit verdüstert sich die Aussicht auf eine einvernehmliche Abwicklung des Brexit. Zwar ist für den Abschluss des Austrittsabkommens keine Einstimmigkeit der 27 verbleibenden EU-Staaten nötig; Spanien könnte überstimmt werde. Einstimmigkeit erfordern jedoch die verbindlichen völkerrechtlichen Abkommen, mit denen EU und Großbritannien in den nächsten Jahren ihr Handelsverhältnis, die gegenseitige Anerkennung von Produkt- und Lebensmittelstandards und die fortgesetzte Teilnahme der Briten an Forschungsprogrammen der EU festschreiben wollen. Und davon abgesehen: Will man über den viertgrößten Mitgliedstaat, der noch dazu europafreundlich ist, in einer derart heiklen Frage hinweggehen?

Kurz stärk May den Rücken

Die britische Premierministerin, Theresa May, versuchte am Mittwochabend, in einem Telefonat mit Sánchez das Gibraltarproblem zu entschärfen. „Ich bin zuversichtlich, dass wir uns am Sonntag auf eine Vereinbarung einigen können, die die gesamte britische Familie einschließlich Gibraltars betrifft“, sagte sie am Donnerstag. Bundeskanzler Sebastian Kurz, den sie ihn London empfing, sagte, er versuche im Namen des österreichischen Ratsvorsitzes „unser Bestes, um die Einheit der EU-27 zu wahren“, auch wenn es nun gewisse Fragen hinsichtlich Gibraltars mit Spanien gebe. Er hoffe dennoch auf Einheit.

Spanien hat Gibraltar zwar 1703 im Frieden von Utrecht an die Briten abgetreten, seither aber stets darauf gepocht, dass der Affenfelsen mit seinen knapp 30.000 Einwohnern (die übrigens zu 96 Prozent gegen den Brexit gestimmt haben) nicht Teil des Vereinigten Königreichs ist. Einige Formulierungen im Zusatzprotokoll zu Gibraltar, welches dem Austrittsabkommen angefügt ist, lässt zwiespältige Interpretationen offen. Da heißt es beispielsweise, das Recht der EU werde aufhören, „im Vereinigten Königreich, und damit in Gibraltar“ zu gelten.

Unruhe wegen Merkel

Während spekuliert wird, ob Sánchez nur vor einer Wahl in Andalusien am 2. Dezember den starken Mann spielt, sorgt auch die Meldung für Unruhe, die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, wolle nicht zum Gipfel kommen, falls der Text vorab nicht fertig sei. „Wir werden eine Lösung finden“, sagte ein EU-Diplomat zur „Presse“. „Aber nicht im Austrittsabkommen oder in der politischen Erklärung.“

Diese politische Erklärung über das künftige Verhältnis sorgte am Donnerstag unter Beobachtern für Erleichterung. Allerdings ist sie rechtlich unverbindlich. Und sie zieht eine klare politische Grenze: „die Unteilbarkeit der vier Freiheiten“ des EU-Binnenmarkts. Sprich: Wenn die Briten vollen Zugang zu diesem Markt wollen, müssen sie auch Freizügigkeit für EU-Bürger erlauben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2018)

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