Brexit: Nun ist London am Zug

Symbolbild: Big Ben im herbstlichen London
Symbolbild: Big Ben im herbstlichen LondonAPA/AFP/ISABEL INFANTES
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Am Sonntag ist der Brexit-Vertrag unterschrieben worden. Nun muss Großbritanniens Premierministerin Theresa May eine Mehrheit im Parlament davon überzeugen. Eine "arithmetische Herausforderung".

Nach der Zustimmung der EU-Staaten rückt im Brexit-Gerangel wieder Großbritanniens Premierministerin Theresa May in den Fokus. Denn im britischen Parlament ist weiter keine Mehrheit für den mit der Europäischen Union in mühsamer Kleinstarbeit ausgehandelten Austrittsvertrag in Sicht - da nützte bisher auch Mays intensives Werben für das Papier nichts.

Die Gefahr eines chaotischen Brexit am 29. März 2019 ist also längst nicht gebannt. Die Premierministerin mahnte zuletzt die Abgeordneten. "Wenn irgendjemand glaubt, diesen Deal ablehnen und anschließend neu verhandeln zu können, hat er sich getäuscht." Es sei, sagte auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, "der beste und einzige Deal, der infrage kommt".

Eine Zustimmung bei der Abstimmung im britischen Unterhaus mag in den vergangenen Tagen wahrscheinlicher geworden sein - immerhin sicherte May bisher ihr politisches Überleben gegenüber Rebellen in ihrer eigenen Konservativen Partei. Doch das erforderliche Ja des britischen Parlaments zum Brexit-Deal stellt sie rein rechnerisch vor ganz andere Herausforderungen. Das werde, wie der britische Außenminister Jeremy Hunt sagt, eine "arithmetische Herausforderung". Nach Medienberichten könnte die Abstimmung am 12. Dezember stattfinden.

Brexit braucht mindestens 320 Stimmen

Von den 650 britischen Parlamentsmitgliedern braucht May eine einfache Mehrheit. Elf Abgeordnete - Parlamentspräsident, seine Stellvertreter und die Vertreter der proirisch-nationalistischen Sinn Fein - werden sich enthalten. Dies bedeutet, dass der Brexit-Deal mit mindestens 320 Stimmen abgesegnet werden müsste. Mays Konservative verfügen im Parlament jedoch nur über 316 Stimmen. Ihr bisheriger Mehrheitsbeschaffer - die nordirische DUP - hat sich auf ein Nein zum Brexit-Vertrag festgelegt, weil sie durch den Deal ein Abdriften vom britischen Mutterland befürchtet.

Eine Gruppe von geschätzten 40 bis 80 konservativen Parlamentariern, die in der "European Research Group" (ERG) des Brexit-Befürworters Jacob Rees-Mogg vereinigt sind, ist vehement gegen Mays Deal. Sie wollen einen möglichst schnellen und harten Bruch mit der EU, der Großbritannien auch aus der Zollunion führt. Auf der anderen Seite schlägt May Widerstand von "Remainern" entgegen, die einen EU-Austritt überhaupt ablehnen. Unter den Konservativen ist diese Gruppe kleiner. Um ihren Deal durchzukriegen, wäre May auch auf die oppositionelle Labour-Partei angewiesen.

Labour hat eine Zustimmung an sechs Bedingungen geknüpft, von denen eine realistischerweise unerfüllbar scheint. Ihr Chef Jeremy Corbyn hat bereits angekündigt, dass Labour gegen den Deal stimmen will. Die Partei hat gefordert, dass der Deal Großbritannien exakt dieselben Vorteile verschafft, wie das Land jetzt hat. Dies ist eine Forderung, auf die sich die EU nicht einlassen konnte: EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk haben immer wieder klar gemacht, dass ein Verlassen der Union nicht attraktiver sein dürfe als ein Verbleib in der EU.

May schreibt "Brief an die Nation"

Wenn May im Dezember in ihrem Parlament scheitert, stellt sich die Frage, ob sich die Premierministerin weiter an der Macht halten kann. Sie hatte noch in der Nacht zum Sonntag in einem für sie recht emotionalen Brief öffentlich an die Briten appelliert, den EU-Austritt zu unterstützen. May bat die Briten in dem "Brief an die Nation", der in jedem Haushalt landete, darum, den Brexit-Deal zu unterstützen. "Ein neues Kapitel in unserem nationalen Leben beginnt", schrieb die Regierungschefin.

Nach dem EU-Austritt Ende März 2019 werde es zunächst einen Moment der "Erneuerung und Versöhnung" für das ganze Land geben. Die Befürworter und Gegner der Loslösung von der EU müssten wieder ein Volk werden.

Großbritannien bekomme durch den Brexit die Kontrolle über sein Geld, die Gesetze und die Grenzen zurück. Es sei wichtig, sich nun wieder auf wichtige Themen zu konzentrieren wie etwa die Wirtschaft und den staatlichen Gesundheitsdienst NHS. Der NHS gilt als marode und überlastet.

Der Brief gehört vermutlich zu einer neuen Strategie: May wendet sich seit einigen Tagen vermehrt an die Öffentlichkeit und an die Wirtschaft. Britische Medien vermuten, dass sie auf diese Weise den Druck auf das Parlament in London erhöhen will, das das Abkommen noch absegnen muss.

(APA/dpa/Red.)

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