Theresa May verschiebt Brexit-Abstimmung im Parlament

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Der britischen Premierministerin drohte eine Niederlage bei einer Abstimmung über den Austrittsvertrag mit der EU. Sie will erneut nach Brüssel reisen, um den Deal nachzuverhandeln.

Die britische Regierung zieht wegen der drohenden Schlappe für die Brexit-Vereinbarung im Parlament die Notbremse: Die britische Premierministerin Theresa May hat die für Dienstag geplante Abstimmung über ihr Brexit-Abkommen mit der EU verschoben. Das verkündete sie am Montag. Der Termin war ursprünglich für Dienstagabend angesetzt. Zunächst war unklar, wann die Abstimmung stattdessen abgehalten werden soll.

Grund für den Schritt sei der sich abzeichnende Widerstand im Parlament gegen den sogenannten Backstop im Brexit-Abkommen, sagte May. Mit dieser Regelung soll verhindert werden, dass zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland nach dem Brexit wieder Grenzkontrollen eingeführt werden.

May strebt zudem Nachverhandlungen mit der EU über das Brexit-Abkommen an. Sie werde vor dem EU-Gipfel Ende dieser Woche mit ihren Amtskollegen aus der EU und den Spitzen von EU-Kommission und Europäischem Rat die "klaren Bedenken" des britischen Unterhauses diskutieren und "weitere Zusicherungen" aus Brüssel verlangen, sagte May am Montag vor den Abgeordneten. Die EU-Kommission hatte zuvor allerdings erklärt, dass sie das Abkommen nicht neu verhandeln wolle. Schon davor hatte Bildungsstaatssekretär Nadhim Zahawi angekündigt, May werde nun erneut nach Brüssel reisen, um zu versuchen, die Auffanglösung im Brexit-Vertrag zum Nordirland-Problem noch einmal nachzuverhandeln.

Großbritannien will in weniger als vier Monaten - Ende März 2019 - aus der Staatengemeinschaft ausscheiden. Sollte bis dahin kein Abkommen ratifiziert sein, droht ein ungeregelter Austritt aus der Europäischen Union mit chaotischen Folgen für die Wirtschaft und andere Lebensbereiche.

Vorbereitungen für "Hard Brexit" ohne Vertrag beschleunigt

Im britischen Parlament in Westminister zeichnet sich seit Wochen erheblicher Widerstand gegen das von May mühsam mit der EU-Kommission ausgehandelte Brexit-Vertragswerk ab. Nicht nur die Oppositionsparteien wollen dagegenstimmen, sondern auch Teile von Mays regierenden Konservativen. Zudem will auch die nordirische DUP den Pakt zu Fall bringen - Mays Regierung ist im Unterhaus auf die Stimmen der Protestantenpartei angewiesen.

Ein erfolgreicher Brexit erfordere Kompromisse auf allen Seiten, sagte May am Montag im Parlament. Weder die Anhänger eines zweiten Referendums noch die Befürworter eines Verbleibens im Binnenmarkt und die Befürworter eines ungeordneten Brexits hätten eine Mehrheit. Angesichts der Lage beschleunige die Regierung die Vorbereitungen für einen harten Brexit. "Das Abkommen wäre mit einer beträchtlichen Mehrheit abgelehnt worden", erklärte May vor den Parlamentariern zur Begründung der Verschiebung. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon warf May "Feigheit" und forderte ein Votum der Abgeordneten.

Zur Abstimmung steht der knapp 600 Seiten dicke Ausstiegsvertrag mit der EU, der die Regeln für den Austritt Großbritanniens nach 45 Jahren Mitgliedschaft juristisch verbindlich festlegt. Daneben gibt es noch eine unverbindliche Erklärung zu den künftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Beide Dokumente wurden vor gut zwei Wochen auf einem Sondergipfel in Brüssel von den Staats- und Regierungschefs der restlichen 27 EU-Länder unterzeichnet. Ende der Woche ist in Brüssel das nächste Spitzentreffen geplant.

EuGH: London könnte noch aussteigen

Ein Gerichtsurteil des höchsten europäischen Gerichts könnte nun die Brexit-gegner mit der Option für einen Ausstieg vom Ausstieg beflügeln. Am Montag ebnete der Europäische Gerichtshof in einem Grundsatzurteil den Weg für einen Brexit-Stopp. Es stehe der britischen Regierung frei, eigenmächtig aus dem laufenden Austrittsverfahren aus der EU auszusteigen, teilte der EuGH mit. Damit korrigieren die Richter aus Luxemburg die bisherige Rechtsmeinung in Brüssel, das die übrigen 27 EU-Länder zustimmen müssten. Die Option für einen Austieg vom Ausstieg dürfte die Brexit-Gegner beflügeln.

Die Briten hatten im Sommer 2016 in einem Referendum mit knapper Mehrheit für das Ausscheiden aus der EU gestimmt. May reichte im März 2017 den Austritt offiziell in Brüssel ein. Seitdem läuft der Countdown von zwei Jahren bis zum 29. März 2019.

Der Europäische Gerichtshof gibt dem Königreich nun die Möglichkeit, die Uhr anzuhalten - allerdings nur unter hohen Auflagen. Die Entscheidung müsse Ergebnis eines demokratischen Prozesses in Großbritannien sein und "eindeutig und bedingungslos" an die EU gemeldet werden. Der Schritt hätte den Effekt, dass das Land zu den derzeitigen Bedingungen in der EU bleiben könnte und das Brexit-Verfahren beendet würde, hieß es in der Urteilsbegründung.

Derzeit schließen in London sowohl die regierenden Tories als auch die sozialdemokratische Labour-Opposition einen neue Volksabstimmung aus. Damit bleibt der Weg für einen Ausstieg vom Ausstieg vorerst verbaut.

(APA/AFP/Reuters/dpa)

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