Macron bittet Frankreich um eine zweite Chance

Die französischen Gelbwesten lassen sich nicht abspeisen mit Zugeständnissen der Regierung. Sie gehen aufs Ganze: Sie wollen den Kopf des Präsidenten, Emmanuel Macron.
Die französischen Gelbwesten lassen sich nicht abspeisen mit Zugeständnissen der Regierung. Sie gehen aufs Ganze: Sie wollen den Kopf des Präsidenten, Emmanuel Macron.(c) imago/ZUMA Press (Omer Messinger)
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Mit einer Fernsehrede hofft Frankreichs Präsident Macron die „Gelbwesten“ besänftigen zu können. Der finanzielle Spielraum, um sozialen Frieden zu erkaufen, ist jedoch begrenzt.

Paris. Der französische Präsident Emmanuel Macron bittet die Nation, ihm eine zweite Chance zu geben. Nach einem mehrwöchigen Konflikt mit den „Gelben Westen“ hat sich die Lage bis an den Rand eines Volksaufstands zugespitzt. Seine eigene Glaubwürdigkeit und Popularität ist auf einen Tiefpunkt gesunken. Auf den Demonstrationen verlangen die aufgebrachten Bürger in ihren gelben Warnwesten längst nicht mehr nur eine Senkung der Abgaben auf Treibstoff oder mehr Kaufkraft, sie fordern den Kopf des Staatsoberhaupts.

Für Macron geht es darum, seine Amtszeit bis 2022 über die Runden zu retten. Und ob das gelingt, ist nicht garantiert. Der Preis für ein Einlenken oder eine Beruhigung ist von Woche zu Woche gestiegen. Das hat sich der Präsident, der sich in Schweigen hüllte und auf Zeit spielen wollte, selber zuzuschreiben. Seiner Regierung war es weder gelungen, mit ersten Zugeständnissen wie dem Verzicht auf eine Erhöhung der Treibstoffabgaben am 1. Jänner die Forderungen zu erfüllen, noch mit harter Hand Ruhe und Ordnung im Land wiederherzustellen.

Der Präsident konnte sich nicht länger hinter seinem exponierten Premierminister verbergen. Die „Gelbwesten“ richten ihre Reklamationen an ihn, weil sie ihn verantwortlich machen für alle Ungerechtigkeiten, über die sie klagen. Noch am Montagmorgen hat sich der Staatschef mit den Sozialpartnern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, mit den Präsidenten der Nationalversammlung und des Senats und befreundeten Politikern getroffen, um mit ihnen einen Ausweg aus der Krise zu diskutieren. Mit diesen eilends einberufenen Sondierungsgesprächen wollte der Präsident zeigen, dass er nicht isoliert sei, sondern durchaus auf andere hört, auch wenn sie ihm dringend eine soziale Wende oder wenigstens eine faire Verteilung der Sparanstrengungen nahelegen.

Senkung der Einkommensteuer

All diesen Ratgebern ist bewusst, dass Macron nicht mit spektakulären großzügigen Gesten aus dem Vollen schöpfen kann, wenn er den Staatshaushalt nicht total aus dem Lot bringen will. Eine mehr als symbolische Erhöhung des gesetzlichen Minimallohns oder der Altersrenten beispielsweise oder moderate Senkung der Einkommensteuer erscheint aus der Sicht der Buchhaltung der Nation nicht vernünftig. Andere bezahlen zu lassen, ist auch nicht einfach: Die Unternehmen, die es vermögen, sollen den Arbeitnehmern eine außerordentliche Gehaltsprämie gewähren und für dieses Weihnachtsgeld keine Abgaben oder Sozialbeiträge entrichten. Nicht alle Arbeitgeber sind bereit, die Rechnung für das zerschlagene Porzellan der Staatsführung zu begleichen.

Noch bevor sich Macron im Fernsehen an die Nation richten konnte, wurden im Internet bereits Aufrufe zur nächsten Auflage der Steuerrevolte der Gelbwesten publiziert. Zweifellos sollte so mit der Drohung mit einem weiteren, womöglich noch schlimmeren Chaos-Samstag in Paris und in der Provinz der Druck auf die Staatsführung noch vergrößert werden. Frankreich und seine Hauptstadt stehen noch unter dem Schock der gewaltsamen Krawalle, am Montag waren auf den Straßen von Paris nicht alle Spuren der Plünderungen, Sachbeschädigungen und Konfrontationen mit der Polizei beseitigt.

Die Aussicht, dass sich ähnliche Zwischenfälle ein drittes Mal wiederholen, erscheint der Bevölkerung beängstigend, für die Geschäftsleute, deren Kaufhäuser oder Boutiquen aus Angst vor Verwüstungen und Plünderungen mitten im Weihnachtsgeschäft geschlossen bleiben mussten, ist der Konflikt eine Katastrophe. Der Konflikt hat nach Angaben des Wirtschaftsministers, Bruno Le Maire, bereits 0,1 Prozent BIP-Wachstum gekostet, und mit dem bereits letzte Woche zugestandenen Verzicht auf die Erhöhung der Öko-Steuer auf Diesel und Benzin werden der Staatskasse vier Milliarden Euro Einnahmen fehlen. Das ist die Kehrseite des Aufstands gegen die Steuerlast.

AUF EINEN BLICK

Die Proteste der Gelbwesten entzündeten sich an der Erhöhung der Dieselsteuer, die am 1. Jänner in Kraft treten hätten sollen. Mittlerweile hat die französische Regierung die Öko-Maßnahme um ein ganzes Jahres verschoben. Doch die Demonstranten hat dieses Zugeständnis nicht beruhigt. 136.000 Menschen gingen am Samstag erneut auf die Straße, wieder kam es zu Ausschreitungen. Die Gelbwesten verlangen die Senkung aller Steuern sowie eine Erhöhung der Mindestlöhne und der Pensionen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2018)

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