Aufschub des Brexit wird immer wahrscheinlicher

Es waren weniger flammende Worte als beinharte Arithmetik, die May zu ihrem Kurswechsel brachten.
Es waren weniger flammende Worte als beinharte Arithmetik, die May zu ihrem Kurswechsel brachten.APA/AFP/JESSICA TAYLOR
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Premierministerin Theresa May bringt „kurze und einmalige“ Fristverlängerung ins Spiel.

London. Nur wenige Stunden, nachdem sie eine Verlängerung des Brexit-Prozesses nach Artikel 50 vehement ausgeschlossen hatte, stellte Theresa May dem Unterhaus genau diese Option in Aussicht: In einer Stellungnahme vor dem Parlament präsentierte die britische Premierministerin am Dienstag einen neuen Zeitplan zum Abschluss des EU-Austrittsverfahrens. Demnach sollen die Abgeordneten bis 12. März über den Deal, den die Regierung derzeit mit der EU verhandelt, abstimmen. Scheitert dieses Abkommen, soll das Parlament am 13. März abstimmen, ob es eine Mehrheit für einen harten Brexit ohne Vereinbarung gibt. Spricht sich das Unterhaus gegen einen No-Deal-Brexit aus, will May am 14. März über eine „kurze und einmalige Verlängerung“ des Artikel 50 entscheiden lassen.

Mit dieser neuerlichen Kursänderung kam May einer Rebellion in den eigenen Reihen zuvor. Nicht weniger als 23 Regierungsangehörige, darunter drei Kabinettsminister und drei Staatssekretäre sowie 40 Hinterbänkler, hatten mit Rücktritt und Unterstützung eines überparteilichen Antrags auf Verlängerung des Artikels 50 gedroht. „Wir flehen Sie an, umzudenken“, schrieben sie in einem Beitrag für die Zeitung „Daily Mail“ an die Adresse von May: „Andernfalls haben wir keine Wahl, als uns im nationalen Interesse anderen Abgeordneten anzuschließen, um in weniger als fünf Wochen eine Katastrophe zu verhindern, die wir alle bereuen werden.“

Von Labour unter Druck gesetzt

Es waren aber weniger flammende Worte als beinharte Arithmetik, die May zu ihrem Kurswechsel brachten. Denn durch die Positionsänderung der Labour Party am Montag geriet sie in Bedrängnis, das Gesetz des Handelns an das Parlament zu verlieren. Labour kündigte einen Antrag auf einen sanften Brexit an. Bei seinem – erwartungsgemäßen – Scheitern wollte die Oppositionspartei eine neue Volksabstimmung verlangen. Dieser von gemäßigten Kräften längst geforderte Schritt würde zwar voraussichtlich ebenfalls keine Mehrheit finden, die regierenden Konservativen aber endgültig spalten. May sprach im Parlament nach einer Regierungssitzung, die von Teilnehmern als „brutal“ bezeichnet wurde. Dabei warf sie ihren Kritikern Verletzung der Kabinettsdisziplin vor. Dennoch habe die Regierung „mehrheitlich, aber sehr übellaunig“ akzeptiert, dass die gemäßigten Kräfte, die einen No-Deal-Brexit verhindern wollen, die Premierministerin zu einer Änderung ihrer Position gezwungen hätten.

Gemäßigte Tories zeigten sich zufrieden. Nicht so die Opposition. Labour-Chef Jeremy Corbyn schloss eine Unterstützung für Mays geplantes Abkommen mit der EU aus und forderte eine endgültige Entscheidung durch die Bevölkerung. Seine Fraktionskollegin Yvette Cooper, eine der Autorinnen des von May gefürchteten Antrags auf Verschiebung, warf der Premierministerin „wiederholt gebrochene Versprechen“ vor. May versprach dem Parlament im Dezember, Jänner und Februar Abstimmungen, doch jedes Mal zog sie das im entscheidenden Moment zurück. Der Labour-Abgeordnete und Vorsitzende des parlamentarischen Brexit-Ausschusses, Hilary Benn, fragte May, wofür genau sie die kurze Verlängerung des Artikels 50 nutzen wolle. Die Frage blieb unbeantwortet.

Dafür bekräftigte May, dass sie keine Verlängerung wolle, dass selbige spätestens mit den Europawahlen Ende Mai befristet sein müsse und dass sie in ihren Gesprächen mit der EU „weiter gute Fortschritte“ mache. Worauf der konservative Veteran und einer der wenigen verbliebenen Pro-Europäer in der Partei, Ken Clarke, anmerkte: „Wenn alles so gut läuft, wozu dann die Verlängerung? Und wenn dem nicht so ist, bringt dann eine Verlängerung etwas anderes als eine Verschiebung der Entscheidung auf Ende Mai oder Anfang Juni?“

Die Abstimmung über Mays Antrag oder weitere Entschließungen steht für Mittwoch auf der Tagesordnung des Unterhauses. Corbyn bekräftigte, dass Labour an seinen Anträgen ungeachtet Mays festhalten werde. Die Entscheidung, worüber abgestimmt wird, liegt bei Parlamentspräsident John Bercow. Auf den Märkten sorgten die jüngsten Entwicklungen für Aufatmen: Das Pfund stieg auf den höchsten Kurs gegenüber dem Euro seit vier Wochen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2019)

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