Theresa May vor dem Ende

Theresa May (hier beim sonntäglichen Kirchgang) sieht sich im Brexit-Chaos wieder einmal einer Palastrevolte aus der eigenen Partei gegenüber. Britische Medien raunen über einen Putsch gegen die Premierministerin.
Theresa May (hier beim sonntäglichen Kirchgang) sieht sich im Brexit-Chaos wieder einmal einer Palastrevolte aus der eigenen Partei gegenüber. Britische Medien raunen über einen Putsch gegen die Premierministerin.(c) Getty Images (Jack Taylor)
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Die britische Premierministerin steht vor dem politischen Aus. Sie soll ihren Rücktritt angeboten haben, wenn die Abgeordneten ihrem Deal zustimmen. Das Parlament will die Kontrolle über den Brexit übernehmen.

London. Besser hätte man die Bunkerstimmung in der Londoner Regierungszentrale nicht symbolisieren können. Während mehr als eine Million Menschen am Samstag in der britischen Hauptstadt gegen den Brexit auf die Straße gingen, hielt sich Premierministerin Theresa May „zu politischen Beratungen“, wie es hieß, auf dem Landsitz Chequers auf. Doch wie eine Demonstrantin an ihre Adresse sagte: „Machen Sie die Fenster auf, schauen Sie in die Zeitung oder schalten Sie den Fernseher ein!“ Die Zeichen der Zeit sind tatsächlich unübersehbar.

Das hat mittlerweile auch die engste Umgebung Mays verstanden. Von nicht weniger als elf Regierungsmitgliedern will die „Sunday Times“ wissen, die den sofortigen Rückzug der Premierministerin wollen. Ihr früherer Politikberater George Freeman erklärte offen: „Es ist aus für May.“ Über Twitter fügte er hinzu: „Sie hat ihr Bestes gegeben. Aber man kann im ganzen Land den Ärger wachsen sehen.“

Kommen nun Neuwahlen?

Tatsächlich wurde das Ergebnis des letzten EU-Gipfels mit einer kurzen und bedingten Verschiebung des Brexit als „an der Grenze zur Erniedrigung“ aufgenommen, wie es der Brexit-Hardliner Iain Duncan Smith, ein ehemaliger Tory-Parteichef, formulierte. Dazu kommt erschwerend, dass niemand weiß, wie es nun weitergeht. May hat Freitagabend in einem Brief an die Abgeordneten erklärt, sie werde ihren EU-Deal nur ein drittes Mal zur Abstimmung vorlegen, wenn es im Unterhaus eine Mehrheit gebe.

Diese gibt es aber nicht. May soll daher Brexit-Hardlinern in ihrer Partei versprochen haben, zurückzutreten, sollten sie dem Austrittsdeal doch noch zustimmen. Dies habe May am Sonntag konservativen Abgeordneten wie Ex-Außenminister Boris Johnson und Jacob Rees-Mogg bei einem Treffen auf ihrem Landsitz Chequers zugesichert, berichtete der Sender ITV. Doch ob May den Schritt tatsächlich vollziehen wird, ist ungewiss.

Aus dem Parlament hört man vor Beginn der Sitzungswoche, dass nun am Montag die Stunde gekommen sei, die Kontrolle im Brexit-Prozess zu übernehmen. Von Regierungsseite erwiderte Brexit-Minister Stephen Barclay: „Wenn das Parlament versucht, unsere Geschäfte zu übernehmen, haben wir eine ernste Krise.“ Für diesen Fall drohte er mit Neuwahlen – was die Opposition seit Monaten fordert.

Neben Mays Deal, so er zur Abstimmung vorgelegt wird, wollen die Abgeordneten auch über andere Varianten abstimmen. Darunter ist eine Rücknahme des Brexit, wofür sich in einer Petition bereits mehr als fünf Millionen Menschen ausgesprochen haben. Weitere Optionen sind ein neues Referendum, Mays Deal plus Zollunion, Mays Deal plus Zollunion und Binnenmarkt, ein Freihandelsabkommen nach Vorbild Kanadas und ein harter Brexit. Schatzkanzler Philip Hammond: „Nur die Rücknahme und einen harten Brexit kann man ausschließen.“

Nachfolgekandidaten

Zugleich wandte sich Hammond, der als einer der Rädelsführer des „Putschs“ gegen May galt, gegen eine Diskussion um die Premierministerin: „Es geht jetzt nicht um die Person des Premierministers.“ Wichtiger sei ein geordneter Ablauf, denn ein harter Brexit würde „sehr ernste und schwerwiegende Folgen“ haben.

Ungeachtet dessen wurde bereits heftig über die Person des möglichen May-Nachfolgers spekuliert. Innerhalb der Partei habe man sich auf Umweltminister Michael Gove verständigt, wusste die „Mail on Sunday“. Brexit-Anhänger Gove genießt intern als Wortbrecher wenig Vertrauen. Zudem schwächte er ab: „Jetzt ist nicht die Zeit, den Kapitän des Schiffs auszuwechseln.“

Hohes Ansehen, aber wenig öffentliches Profil hat dagegen David Lidington, der de facto als Mays Stellvertreter agiert. Der ehemalige EU-Staatssekretär erklärte gestern: „Ich habe keine Absichten auf den Posten des Premierministers.“ Politikexperte Anand Menon sagte zur „Presse“, Lidington wäre „der ideale Übergangskandidat, um Neuwahlen auf den Weg zu bringen“.

Für den Brexit hätte das theoretisch keine aufschiebende Auswirkung. Menon aber meint: „Wenn Lidington nach Brüssel geht und sagt: ,Wir haben Neuwahlen und müssen daher den Brexit verschieben‘, wird eine EU, die in ihren Mitgliedstaaten die Demokratie hochhält, den Briten kaum das Recht auf eine Abstimmung vorenthalten können.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2019)

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