May tritt ab – aber nur nach Deal

Theresa May hat ihre Bereitschaft zum Rücktritt signalisiert
Theresa May hat ihre Bereitschaft zum Rücktritt signalisiertREUTERS
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Großbritannien. Theresa May sagt, sie habe die „Zeichen der Zeit verstanden“ – und kündigt ihren Rückzug an, falls das Parlament ihrem EU-Deal zustimmt. Aber das ist keineswegs sicher.

London. Die britische Premierministerin Theresa May ist bereit, für die Annahme ihres EU-Abkommens den höchsten politischen Preis zu zahlen: ihren eigenen Rücktritt. „Wir haben noch Arbeit zu erledigen“, sagte sie gestern, Mittwochabend, vor ihrer konservativen Parlamentsfraktion. „Aber ich weiß, dass es den Wunsch nach einem neuen Zugang und einer neuen Führung in der zweiten Phase der Brexit-Verhandlungen gibt.“ Sie werde dem nach Zustimmung des Parlaments zu ihrem Abkommen „nicht im Wege stehen“.

Die Erklärung der Premierministerin kam nicht unerwartet. Zu groß war in den vergangenen Tagen der politische Druck geworden, zu sehr hatten sich die Hardliner in ihrer Partei immer mehr auf die Forderung nach ihrem Rückzug festgelegt. Einer ihrer Wortführer, Ex-Außenminister Boris Johnson, erklärte gestern: Ein Ja zu Mays EU-Deal sei „sinnlos, solange wir kein Anzeichen dafür haben, dass Großbritannien in der zweiten Phase der Verhandlungen einen anderen Zugang wählen wird.“

Wenige Stunden später kündigte May ihren Rückzug mit fast identischen Worten an. Kein Wunder, dass Johnson die Fraktionssitzung ohne Kommentar, aber über beide Ohren grinsend, verließ. Wenig später ließ er verlauten, er sei nun geneigt, für Mays Brexit-Deal zu stimmen. Auch sein Gesinnungsgenosse Jacob Rees-Mogg deutete ein Ja für das Abkommen an, selbst wenn sich die zehn Abgeordneten der nordirischen DUP bei einer dritten Abstimmung nur der Stimme enthalten sollten.

Von der nordirischen Unionistenpartei, die im Parlament das Zünglein an der Waage spielt, gab es dagegen aber eine klare Absage. Mays Abkommen stelle eine „Bedrohung der Integrität Großbritanniens“ dar und limitiere unweigerlich den zukünftigen Verhandlungsspielraum mit der EU, stellte Parteichefin Arlene Foster klar. Auch unter den konservativen Brexit-Ultras wurden immer noch 15 „Unverbesserliche“ vermutet, die durch kein Entgegenkommen zu einer Meinungsänderung zu bewegen waren.

Für eine Mehrheit bleibt May damit wahrscheinlich erneut auf Abtrünnige aus der oppositionellen Labour Party angewiesen. Das ist mit ihrem neuerlichen Umfaller vor den Hardlinern unter den Konservativen gestern nicht einfacher geworden. Von der „ultimativen Erpressung“ sprach die Labour-Abgeordnete Jo Stevens. „Mit dem nationalen Interesse hat das nichts zu tun.“

Schlag auf Schlag

Obwohl May sich zu dem weiteren Zeitplan bedeckt hielt, wurde in London damit gerechnet, dass es nun Schlag auf Schlag gehen könnte: Schon ausnahmsweise am Freitag werde die Regierung möglicherweise erneut Mays EU-Deal zur Abstimmung vorlegen. Sollte das Abkommen eine Mehrheit finden, tritt Großbritannien am 22. Mai geordnet aus der EU aus. In der konservativen Partei werde noch vor dem Sommer das Verfahren zur Wahl eines neuen Parteichefs eingeleitet werden. Das letzte Wort hat die Parteibasis – und niemand kann es da mit Boris Johnson aufnehmen. Er könnte im Juni in der Downing Street einziehen.

Überschattet wurden durch die Ankündigung Mays gestern Abend die Probeabstimmungen im Unterhaus. Den Abgeordneten lagen acht Varianten vor, die von einer völligen Rücknahme des Brexit bis zu einem sofortigen Austritt ohne Abkommen die gesamte Bandbreite der Meinungen widerspiegelten. Die Regierung sah darin einen Versuch der Legislative, sich Vorrechte der Exekutive anzumaßen, und legte sich nicht darauf fest, die Forderungen des Parlaments zu übernehmen. Am späten Mittwochabend war klar: Das wäre nicht nötig gewesen, die Abgeordneten stimmten gegen alle acht Alternativen für den weiteren Brexit-Verlauf.

Trotz zahlreicher emotionaler Wortmeldungen stimmte das Parlament gestern Abend dafür der Änderung des EU-Austrittsdatums zu. „Ich könnte diese Haus niederreißen“, wütete der Brexit-Hardliner Steve Baker daraufhin. Tritt Großbritannien am 12. April aus der EU aus, tritt eine Übergangsfrist bis Ende Dezember 2020 in Kraft, in der die künftigen Beziehungen mit der Europäischen Union ausgehandelt werden sollen. In London sitzt dann vielleicht Boris Johnson am Ruder. Die bisherigen Auseinandersetzungen werden bald als geringfügige Irritationen erscheinen.

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