May setzt alles auf eine dritte Abstimmung

Premierministerin Theresa May
Premierministerin Theresa MayReuters
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Selbst ihre Rücktrittsankündigung scheint nicht genug, den EU-Deal durch- und ihr Vorhaben ins Ziel zu bringen. Aber sie wagt dennoch den Versuch.

London. Mit dem Rücken zur Wand will die britische Premierministerin, Theresa May am Freitag das Parlament ein weiteres Mal über den EU-Austritt abstimmen lassen. So groß ist dieser Tage aber das politische Chaos in London, dass bis zuletzt nicht einmal festgestanden ist, worüber die Abgeordneten entscheiden sollten. Ein Regierungssprecher erklärte nur, man wolle sicherstellen, dass „gemäß der Entscheidungen des EU-Gipfels die Bedingungen für einen Austritt am 22. Mai“ erfüllt seien. Die EU hat Großbritannien eine Frist gesetzt bis Freitag dieses Abkommen anzunehmen und danach in geordneter Form am 22. Mai aus der Union auszutreten. Geschieht dies nicht, wird der Austritt bereits am 12. April schlagend.

Widerstand der DUP

Ob May die Stimmen für eine Mehrheit zusammenbekommt, scheint fraglich. Mit ihrem Versprechen, für den Fall einer Zustimmung zu ihrem Deal den Hut zu nehmen, hat sie zahlreiche Hardliner in ihrer Partei gewinnen können. Brexit-Ultras, die bis zuletzt eisernen Prinzipien ewige Treue geschworen hatten, wurden plötzlich angesichts der völligen Machtübernahme in der konservativen Partei erstaunlich flexibel. „Besser ein halber Laib als gar kein Brot“, meinte etwa einer ihrer Wortführer, Jacob Rees-Mogg.

Doch innerhalb von Stunden setzte die nordirische DUP allen Hoffnungen Mays ein Ende: „Wir werden das Abkommen nicht unterstützen“, erklärte Parteichefin Arlene Foster Mittwochnacht „mit Bedauern“. Die DUP ist der Mehrheitsbeschaffer für Mays konservative Minderheitsregierung. Mit ihrem knallharten Nein veränderte die Partei die Dynamik vollkommen. Rees-Mogg lieferte eine ballettreife Pirouette, als er erneut seine Meinung änderte und erklärte: „Ich habe die Union des Vereinigten Königreichs immer für wichtiger als die EU gehalten.“

Für eine Mehrheit braucht May 320 Stimmen, von denen sie gestern lediglich 270 hatte. Ihre Rücktrittsankündigung, die eine Kapitulation vor den Hardlinern in ihrer Partei war, machte es ihr noch schwerer, Überläufer in der Opposition zu finden. Die Labour-Abgeordnete Liz Kandell: „Ich bin nicht bereit daran mitzuwirken, dass nun ein Anhänger eines harten Brexit das Kommando übernimmt.“ Einer von ihnen ist Ex-Außenminister Boris Johnson, der als Liebling der Parteibasis als Favorit für die Nachfolge von May gilt.

Wie es im Fall einer dritten Abstimmungsniederlage Mays weitergehen wird, weiß dieser Tage in London niemand. In Brüssel wird für diesen Fall bereits ein Sondergipfel vorbereitet. Nicht unwahrscheinlich ist, dass es dabei nur noch um eine Abfederung der schlimmsten Folgen eines ungeordneten Austritts geht.

May hat ihren Rückzug zwar nur für den Fall einer Zustimmung in Aussicht gestellt („Back me, then sack me“), aber an ihrem politischen Ende besteht kaum noch Zweifel. „Natürlich“ werde May auch bei einer neuerlichen Abstimmungsniederlage den Hut nehmen müssen, meinte der Chef der Liberaldemokraten, Vince Cable. „Was für ein unwürdiger Abgang.“

Als möglichen Ausweg brachte insbesondere die Opposition zuletzt immer massiver Neuwahlen ins Gespräch. Der führende Labour-Abgeordnete Andy McDonald: „Wenn wir eine Führung haben, die das Problem nicht lösen kann, müssen wir eine neue wählen, die es kann.“ Auftrieb erhielten derartige Forderungen nicht zuletzt dadurch, dass im Parlament am Mittwochabend bei Probeabstimmungen alle acht zur Wahl gestellten Brexit-Varianten durchfielen.

Knappes Nein gegen Zollunion

Am besten schnitten der Vorschlag einer permanenten Zollunion (264 dafür, 272 dagegen) und eine weitere Volksabstimmung über das Austrittsabkommen (268 dafür, 295 dagegen) ab. Diese beiden Ideen erzielten mehr Zustimmung als Mays Deal bei ihrem zweiten Versuch (242 Ja- gegen 391 Nein-Stimmen). Obwohl das Ergebnis in der öffentlichen Wahrnehmung für das Parlament ein schwerer Rückschlag war („Die Abgeordneten wissen selbst nicht, was sie wollen“), zeigte sich der Initiator, der konservative Abgeordnete Oliver Letvin, unverdrossen: „Wir haben nie erwartet, dass wir in fünf Stunden eine Frage beantworten können, auf die das Land seit drei Jahren eine Antwort sucht.“ Die Suche wird wohl weitergehen.

Zeitplan

Am Freitag läuft die Frist ab, bis zu der die EU London Zeit gegeben hat, das Austrittsabkommen anzunehmen.

Bis 12. April kann noch nach Alternativen gesucht werden. Dies wäre z. B. eine sofortige Zollunion oder der Rückzug des Austrittsansuchens. Für eine weitere Verlängerung müsste Großbritannien an den EU-Wahlen teilnehmen.

Bis 22. Mai ist noch Zeit, wenn das Austrittsabkommen heute, Freitag, angenommen wird. In dieser Zeit würde ein positiv entschiedenes Abkommen auch von EU-Seite fixiert werden.

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