Großbritannien/EU: Banges Hoffen auf sanften Brexit

Die Präsidenten von Kommission und EU-Rat, Juncker (links) und Tusk (rechts), sind beim Brexit geeint.
Die Präsidenten von Kommission und EU-Rat, Juncker (links) und Tusk (rechts), sind beim Brexit geeint.(c) REUTERS (YVES HERMAN)
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Auch wenn die Chancen auf einen reibungslosen EU-Austritt zart gestiegen sind, machen die EU-27 den Briten klar, was im Fall eines „No Deal“ blüht.

Brüssel. Nimmt die politische Geisterbahnfahrt namens Brexit doch noch ein versöhnliches Ende? Am Montag mehrten sich in London die Zeichen, dass die oppositionelle Labourpartei und die Schottischen Nationalisten dieses Mal für den Verbleib des Vereinigten Königreichs sowohl in einer Zollunion als auch im Binnenmarkt stimmen könnten. Diese Option war bereits auf dem Tapet, fand vorige Woche allerdings keine Mehrheit. Doch damals enthielten sich die Schotten, und die Fraktionsführung von Labour gab keine einheitliche Linie vor. Am Nachmittag gab die Labourführung jedoch bekannt, ihren Abgeordneten dieses Mal eine einheitliche Linie für diese Lösung einer möglichst engen künftigen Bindung an die EU vorzugeben.

Das giftige Prinzip „Hotel California“

Damit würden die Karten neu gemischt. Ein harter Brexit ohne Abkommen für die Zeit danach, der zum Stichtag 12. April droht, wäre abgewendet. Die Staats- und Regierungschefs der 27 Unionsmitglieder würden dieser Lösung, welche auch in ihrem politischen und ökonomischen Interesse ist, beim Sondergipfel am Mittwoch nächste Woche mit Sicherheit zustimmen. Die Briten können am 22. Mai, dem Tag vor Beginn der Wahlen zum Europaparlament, die Union verlassen. Die absurde Situation, in der das Vereinigte Königreich zwar der EU den Rücken kehrt, aus formalen Gründen jedoch noch einmal gewählte Mandatare ins Parlament nach Straßburg entsendet, bliebe Gedankenspielerei.

Doch so ein Brexit nach dem Prinzip, das dem Lied „Hotel California“ der Band The Eagles entspräche – man kann jederzeit in die EU einchecken, sie aber nie wirklich verlassen –, hat einen wesentlichen Nachteil: Er wäre bei einer beträchtlichen Menge überdurchschnittlich motivierter britischer Bürger höchst unbeliebt. Angesichts des britischen Mehrheitswahlrechts ginge jeder Abgeordnete, der dafür stimmt, das Risiko ein, bei der nächsten Wahl oder gar schon früher von einer aufgebrachten Wutbürgerbasis gefällt zu werden. Genau dies geschah am Wochenende dem konservativen, gegen jeglichen Brexit eingestellten Abgeordneten Dominic Grieve. Ihm entzog die örtliche Parteigruppe das Vertrauen.

Somit ist es schlüssig, dass auch europhile, gemäßigte britische Politiker vor dem Verbleib in Zollunion und Binnenmarkt warnen. „Würde das britische Volk das annehmen? Mein Gefühl ist, dass sie es nicht tun würden“, schrieb der frühere britische Wirtschaftsminister und EU-Handelskommissar Peter Mandelson von der Labourpartei im „Guardian“.

Auch in Brüssel und den 27 europäischen Hauptstädten lautet daher die Arbeitshypothese fürs Erste weiterhin: Hard Brexit am 12. April, der nur dann einen längeren Aufschub bis Ende 2020 erhielte, würde die britische Regierung dafür gute und schlüssig vorgetragene Gründe vorbringen (ein zweites Referendum etwa, was allerdings angesichts der weiterhin gespaltenen Meinung im Lande so gut wie ausgeschlossen scheint, oder Neuwahlen).

Drei Bedingungen für neuen Aufschub

Vorigen Donnerstag wurden die EU-Botschafter der Mitgliedstaaten von der Kommission darüber informiert, dass drei klare Bedingungen für einen Aufschub erfüllt werden müssten, um den Briten im Fall eines erneuten und nun endgültigen Scheiterns der Abstimmung über das Austrittsabkommen morgen, Mittwoch, in Westminster Aufschub zu gewähren. Erstens müsste London weiterhin ins Unionsbudget einzahlen, solange es Mitglied bleibt. Zweitens müsste es die Rechte von Unionsbürgern, die im Königreich leben, vollumfänglich garantieren. Drittens müsste es eine Lösung vortragen, welche die Grenze zwischen Irland und Nordirland dauerhaft offen hält. Nichts davon ist revolutionär: Dem Wesen nach steht all das so im zwischen beiden Seiten fertig verhandelten Austrittsabkommen – das bisher keine Mehrheit in Westminster fand.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2019)

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