Das Spitzenkandidatenmodell steht vor dem Ende, Gerüchte um ein EU-Amt für Merkel verdichten sich.
Brüssel. Die schwierigsten Verhandlungen über die Besetzung der Führungsposten in den EU-Institutionen seit Beginn der direkten Wahlen zum Europaparlament vor 40 Jahren werden äußerst rasch beginnen – und anders als vor fünf Jahren sind die Staats- und Regierungschefs dieses Mal darauf erpicht, sich die Dramaturgie der Ereignisse nicht von den Parlamentariern diktieren zu lassen. Schon am 28. Mai, also zwei Tage nach Verkündigung des Ergebnisses, werden sie sich in Brüssel zusammenfinden, um das Terrain zu sondieren und die Grenzen der Debatte darüber abzustecken, wer neuer Präsident der Europäischen Kommission, des Europäischen Rates, des Parlaments, der Zentralbank sowie neuer Hoher Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik wird. Diese Treffen wurde der „Presse“ aus zwei voneinander unabhängigen diplomatischen Quellen bestätigt.
Die Liberalen als Zünglein an der Waage
Die Chefs, allen voran die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, wollen eine Wiederholung des Szenarios verhindern, in welches sie vor fünf Jahren gerieten. Damals versuchte Merkel, gemeinsam mit ihren niederländischen, schwedischen und britischen Amtskollegen Mark Rutte, Fredrik Reinfeldt und David Cameron, eine Sperrminorität gegen die Nominierung von Jean-Claude Juncker zum Kommissionsvorsitzenden zu organisieren. Doch nachdem Juncker und sein deutscher Wahlkonkurrent, der damalige Parlamentspräsident Martin Schulz, in deutschen Medien geschickt die Botschaft platziert hatten, wonach Merkel die Demokratie missachte, weil sie Juncker, den EU-weiten Spitzenkandidaten ihrer siegreichen Europäischen Volkspartei, nicht vereinbarungsgemäß als Kommissionspräsidenten vorschlagen wolle, machte die Kanzlerin einen Rückzieher. Cameron stimmte letztlich gemeinsam mit dem ungarischen Ministerpräsidenten, Viktor Orbán, gegen Juncker, das war allerdings zwecklos.