Der Kanzler wird seine Idee einer Vertragsänderung erstmals im Kreis der EU-Chefs vortragen. Doch schon vorab erntet er dafür wenig Verständnis.
Sibiu. Die Absicht von Bundeskanzler Sebastian Kurz, die Europäischen Verträge zu ändern, weil sie seiner Ansicht nach nicht mehr zeitgemäß seien, wird am Donnerstag einem ersten Realitätstest unterzogen werden. Beim informellen Treffen der Staats- und Regierungschefs wird der Kanzler dieses Vorhaben vortragen.
Wie er vorigen Freitag im Gespräch mit der „Presse“ und den führenden Regionalzeitungen erklärte, befindet Kurz den seit 2009 geltenden EU-Vertrag von Lissabon als nicht mehr zeitgemäß, um die großen Herausforderungen Europas zu meistern. Ins Detail ging Kurz damals nicht, doch wünscht er sich strengere Sanktionen für Verstöße gegen die rechtsstaatlichen Prinzipien durch nationale Regierungen sowie gegen die Budgetdisziplin, eine kleinere Kommission und die Aufgabe des Hauptsitzes des Europaparlaments in Straßburg (dessen inhaltliche Arbeit in den Ausschüssen findet am Zweitstandort in Brüssel statt).
„Diese Idee ist politisch tot“
Doch schon vorab weht dem Kanzler starker Gegenwind entgegen, und die Umsetzung seines Wunsches einer Vertragsänderung ist sehr unrealistisch. Mehrere Diplomaten verschiedener Mitgliedstaaten und EU-Institutionen wiesen diese Idee in Gesprächen mit der „Presse“ als unrealistisch und politisch riskant zurück. „Wir freuen uns nicht besonders auf die Aussicht einer Vertragsänderung“, sagte ein Botschafter. Auch Kurz' Klage, wonach die EU „überbürokratisiert“ sei, treffe nicht mehr zu: „Die derzeitige Kommission unter Jean-Claude Juncker konzentriert sich schon viel mehr auf die wesentlichen Dinge, im Vergleich zur Barroso-Kommission davor. Ich glaube nicht, dass wir jetzt eine weitere Subsidiaritätsdiskussion brauchen.“
„Diese Idee ist so etwas von tot“, sagte ein anderer Diplomat, angesprochen auf eine Vertragsänderung. „Das wäre komplett unrealistisch, und wenn man es versuchen sollte, würde man die Büchse der Pandora öffnen.“ Damit spielt er auf den Umstand an, dass jede Vertragsänderung von den Mitgliedstaaten einstimmig angenommen werden muss, sich somit ein Erpressungspotenzial für einzelne Regierungen ergäbe.
In einem Interview mit der APA betonte Kurz, er wolle den Reformprozess möglichst inklusiv gestalten. Daher plane das Kanzleramt parallel zu einem Europäischen Konvent auch ein Österreich-Konvent. Auch ein Referendum über das Vertragswerk schließt der Kanzler nicht aus. Im Gespräch mit dem „Ö1-Morgenjournal“ zeigte er sich zuversichtlich, Unterstützung für seine Pläne zu bekommen. Es gibt viele - vor allem die jüngeren Regierungschefs -, die wissen, dass wir die EU verändern müssen, wenn wir sie bewahren wollen", sagte Kurz vor dem Gipfel. Um welche Regierungschefs es sich handle, wollte er aber nicht sagen.
Klimapolitik wird aufgewertet
Grundsätzlich wollen sich die EU-Chefs in Sibiu/Hermannstadt mit den großen Fragen befassen, die die Union in den Jahren 2019 bis 2024 zu behandeln hat. „Der Klimawandel wird definitiv in der Rangliste nach oben wandern“, sagte ein Diplomat. Eine Gruppe von acht Staaten, angeführt von Frankreich, den Niederlanden und Dänemark, fordert, den Klimaschutz zum Kernaspekt der EU-Strategie zu machen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2019)