Zwei Wochen vor der Europa-Wahl pochen die EU-Chefs auf Einvernehmen. Doch hinter den Kulissen brodelt es – inhaltlich und personell.
Sibiu. Kaum ein Politiker oder einfacher Bürger in Europa wird den Worten von Sebastian Kurz im Ö1-„Morgenjournal“ vom Donnerstag widersprechen: „Die Europäische Union funktioniert grad eh irgendwie, aber sie ist weit davon entfernt, so aufgestellt zu sein, dass wir im internationalen Wettbewerb mit China oder den USA wettbewerbsfähig sein könnten.“ Doch darauf dürfte sich das Einverständnis beschränken. Denn auf eine Änderung der EU-Verträge, wie sie Kurz seit einigen Tagen fordert, hat keiner der anderen 27 Staats- und Regierungschefs Lust. Jetzt eine derartige Debatte zu eröffnen, komme dem Öffnen der Büchse der Pandora gleich, sagt ein Regierungsvertreter nach dem anderen fast wortgleich.
Der doppelte Schock von 2005
Um zu verstehen, woher diese Angst vor einer Vertragsänderung samt dafür notwendigen Volksabstimmungen in mehreren Mitgliedstaaten rührt, muss man sich die Gründe dafür vor Augen führen, die den geltenden Vertrag von Lissabon sowie seinen begleitenden Vertrag über die Arbeitsweise der EU zu einem derart unlesbaren, komplizierten Rechtstext gemacht hat. Im Jahr 2005 scheiterte der ehrgeizige Versuch, der Union eine echte Verfassung zu geben, an den beiden negativen Referenden darüber in Frankreich und den Niederlanden. Aus den Trümmern dieser jahrelangen Arbeit eines europaweiten Verfassungskonvents unter Führung des früheren Präsidenten Frankreichs Valéry Giscard d'Estaing kleisterte man das zusammen, was seit nunmehr zehn Jahren in seiner Lissabonner Form gilt. Und selbst dieser Vertrag kam erst im zweiten Anlauf zustande: Die EU musste den Iren Sonderwünsche erfüllen, um deren Zustimmung in einer zweiten Volksabstimmung zu gewinnen.