Angela Merkel sagt Brüssel ab

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel schließt einen Wechsel nach Brüssel aus.
Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel schließt einen Wechsel nach Brüssel aus.(c) REUTERS (Vincent Kessler)
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Die deutsche Kanzlerin setzt Spekulationen über einen möglichen Wechsel in ein EU-Amt ein Ende. Um Europa will sie sich trotzdem mehr kümmern.

Berlin/Brüssel. Angela Merkel gibt selten Zeitungsinterviews. Und wenn sie es doch tut, meistens im Wahlkampf, wird jedes Wort der Kanzlerin mehrfach gewogen und auf eine mögliche tiefere Bedeutung hin abgeklopft. Diesmal sprach Merkel mit der „Süddeutschen Zeitung“ über die EU-Wahl. Zwei Sätze reichten aus, um stundenlange wilde Spekulationen auszulösen: „Viele machen sich Sorgen um Europa, auch ich. Daraus entsteht bei mir ein noch einmal gesteigertes Gefühl der Verantwortung, mich gemeinsam mit anderen um das Schicksal dieses Europas zu kümmern“, sagte die Kanzlerin. Ein noch einmal gesteigertes Verantwortungsgefühl? Sofort spekulierten deutsche Medien, Merkel bereite hier die Öffentlichkeit auf einen möglichen Absprung aus Berlin samt Landung auf einem Spitzenposten in Brüssel vor. „Ein Paukenschlag“, kommentierte der „Tagesspiegel“.

Die Kanzlerin sah sich schließlich genötigt, den Spekulationen ein Ende zu setzen: Es gelte weiter, „dass ich für kein weiteres politisches Amt, egal wo es ist, auch nicht in Europa, zur Verfügung stehe“, erklärte Merkel am Donnerstagnachmittag. Sie habe in dem Interview doch lediglich gesagt, dass sie sich als Kanzlerin verstärkt für ein gutes Funktionieren Europas einsetzen werde.

Aber in Berlin herrscht eben permanente Nervosität, seit Merkel angekündigt hat, zum Ende dieser Legislaturperiode, also spätestens 2021, als Kanzlerin aufzuhören. Den CDU-Vorsitz hat Merkel schon abgegeben. Um Wahlkämpfe will sie einen großen Bogen machen. Das sei jetzt „die Domäne der neuen CDU-Vorsitzenden“, Annegret Kramp-Karrenbauer, sagte sie in dem Interview (was insofern problematisch ist, als Kramp-Karrenbauer wegen einer „Augenentzündung“ derzeit Termine absagen muss).

Deutsche Dominanz gefestigt

Schon vor dem Interview rankten sich immer wieder Spekulationen über Merkels politische Zukunft und eine etwaige Nachfolge von Donald Tusk, des Präsidenten des Europäischen Rates. Diese Erwägungen entfalteten sich vor dem Hintergrund eines wachsenden Unmuts vor allem in den südeuropäischen Mitgliedstaaten über die als zu groß empfundene politische Macht Deutschlands. Denn die Eurokrise hat die faktische Führungsrolle Berlins in der EU gefestigt. Das erklärt, weshalb Merkel weder gegenüber Nicolas Sarkozy noch François Hollande und bisher auch nicht gegenüber Macron politische Zugeständnisse für Reformen der Union zu machen geneigt war. Jeglicher Vorschlag aus Paris wurde mehr oder weniger höflich mit dem Verweis auf fiskalpolitische deutsche Tugendhaftigkeit abgeschmettert. Man denke nur an Kramp-Karrenbauers Text „Europa richtig machen“ vom heurigen März, der nicht nur in Frankreich als recht herablassend und oberlehrerhaft empfunden wurde.

Allerdings hält das Klischee, die EU-Institutionen würden unverhältnismäßig stark von Deutschen kontrolliert, einer Prüfung nicht stand. Das Gegenteil ist wahr: Deutsche sind in den Diensten des Europaparlaments und der Kommission unterrepräsentiert. Gemessen an der Bevölkerungsgröße arbeiten beispielsweise viermal mehr Griechen als Deutsche in der Kommission, ergab eine Analyse des Brüssel-Korrespondenten der „Presse“ für die Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Das Verhältnis zu Frankreich ist indes verbesserungswürdig. Die jüngsten Konflikte mit Paris redet Merkel in dem Interview zwar klein. „Gewiss, wir ringen miteinander“, räumte Merkel ein. „Es gibt Mentalitätsunterschiede zwischen uns sowie Unterschiede im Rollenverständnis.“ Trotzdem stimmten Berlin und Paris „in den großen Linien“ überein und fänden stets Kompromisse. Das Verhältnis zu Präsident Emmanuel Macron habe sich „überhaupt nicht“ verschlechtert. Den Vorwurf, eine europapolitische Bremserin zu sein, wies Merkel zurück. „Wir finden immer eine Mitte“, sagte die deutsche Kanzlerin. Als Beispiel nannte sie „enorme Fortschritte“ in der Verteidigungspolitik. Macron antwortete übrigens rasch auf das Interview und sprach von einer „fruchtbaren Konfrontation“ mit Berlin.

Merkel unterstützt Weber

Und die nächste Konfrontation zeichnet sich schon ab: Frankreichs Präsident will bekanntermaßen den deutschen EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber als nächsten EU-Kommissionspräsidenten verhindern. Merkel indes unterstützt Weber. Aber sie tut das in dem Interview nur sehr halbherzig. Sie weist auf ihre schon 2014 gehegten Zweifel am Spitzenkandidaten-System hin. Aber als „gutes Mitglied“ der EVP wolle sie sich für Weber als nächsten Kommissionspräsidenten einsetzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2019)

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