Präsident Macron landet mit seiner Partei En Marche knapp hinter der Rechtspopulistin. Einen Achtungserfolg gibt es für die Grünen.
Weder Skandale um rechtswidrige Parteifinanzierung noch der Absprung mehrerer vor fünf Jahren ins Europaparlament gewählter Abgeordneter haben Marine Le Pens Rechtspopulisten wesentlich geschadet: sie verloren zwar war ein Mandat, lagen aber mit 23,4 Prozent erneut vor allen anderen Listen. Mit 22,3 Prozent hatte La République en marche, die Partei des Staatspräsidenten Emmanuel Macron, knapp das Nachsehen.
Die Knappheit des Resultates hinderte Le Pen nicht daran, von einem „Sieg des Volkes“ zu sprechen und davon, dass nun eine „große Bewegung für den Wandel“ geboren sei.
Aus dem Kabinett des Präsidenten wiederum hieß es, man sei zwar natürlich enttäuscht, das Ergebnis sei aber „absolut ehrenvoll“, es sei seiner Partei und ihm kein „Denkzettel“ ausgestellt worden.
Starkes Resultat der Grünen
Mit knapp 13,4 Prozent schnitten die Grünen überraschend stark ab. Sie sind nun die drittstärkste Partei im Lande, und das wird den Europäischen Grünen auch Argumente dafür verleihen, in die große proeuropäische Koalition mit der Europäischen Volkspartei (EVP), den Sozialdemokraten und den Liberalen aufgenommen zu werden, die für die Wahl des Kommissionspräsidenten erforderlich sein wird.
Hingegen wurden die beiden traditionellen politischen Großparteien dezimiert. Der Parti Socialiste erreichte mit etwas weniger als sieben Prozent nur sein Minimalziel: nämlich wenigstens ins Parlament zu kommen. Lange Zeit hatte es in den Umfragen so ausgehen, als würden die Sozialisten nicht die Hürde von fünf Prozent überqueren und folglich erstmals in der Geschichte des Europaparlaments nicht mehr auf europäische Ebene vertreten sein.
Doch auch ihr traditioneller Hauptgegner, die Bürgerlich-Konservativen, wurden heftig abgestraft. Sie erreichten knapp über acht Prozent und wurden damit mehr als halbiert. Ihre Strategie, ideologisch nach rechts zu ziehen, war ein Flop: diese Wähler blieben bei Le Pens Rassemblement National, dem früheren Front National. Fast gleichauf mit den Sozialisten landete die linkspopulistische La France Insoumise von Jean-Luc Mélenchon. Mehrere andere Parteien am linken und rechten ideologischen Rand verfehlten den Einzug.
Von Europa war in Frankreich in der Wahlkampagne wenig, viel zu wenig die Rede. Die Kandidaten, die über die Zukunft der EU diskutieren wollten, hatten Mühe, eine interessierte Zuhörerschaft zu finden. Nationale Fragen und die üblichen Debatten über die Glaubwürdigkeit der Politiker standen im Vordergrund. „Alles, nur nicht Macron“, schrien bei ihren Demonstrationen und Besetzungsaktionen die Gelbwesten, denen es bei dieser Wahl ebenfalls um die Innenpolitik ging.
Macrons Einsatz vergeblich
Am Ende hatte der Urnengang den Charakter einer Zwischenwahl zur Halbzeit der Präsidentschaft von Emmanuel Macron, der mit seinem starken Engagement im Wahlkampf der Liste Renaissance selbst diesen umfunktionierten Test für die Regierungspolitik in ein persönliches Plebiszit verwandelte, indem er sich und seine politische Familie als einzigen Schutzwall gegen den Vormarsch der Rechtspopulisten in Szene setzte. Er hat mit hohem Einsatz gepokert. Denn der Liste der extremen Rechten wurde mit rund einem Viertel der Stimmen in etwa dasselbe Resultat wie schon 2014 vorausgesagt.
Die Polarisierung zwischen der Liste der Regierungspartei und dem Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen bestimmte darum von Beginn an den Wahlkampf. Sowohl Macron als auch Le Pen, die selbst auf dem vorletzten Listenplatz kandidierte, hatten ein Interesse an einem solchen Remake ihres Duells im zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahlen von 2017. Die RN-Chefin will ihre Revanche, oder wenigstens zeigen, dass ihre Partei immer noch die Nummer eins in Frankreich ist. (go/r.b.)