EU-Sondergipfel: Ein Personalquartett für die Brüsseler Spitzenämter

Frans Timmermans.
Frans Timmermans.(c) REUTERS (Francois Lenoir)
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Ein Vierervorschlag soll Parteien und Ländergruppen der EU zufriedenstellen und für Geschlechtergleichheit sorgen. Doch dessen Schlüsselfigur, Frans Timmermans, ist umstritten.

Brüssel. Ein Quartett soll der Europäischen Union eine neue Führungsriege verschaffen – mit, dem Vernehmen nach, dem niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans als Kommissionspräsident und somit Schlüsselteil in diesem Puzzle. Die Kommission also an die Sozialdemokraten, der Präsident des Europäischen Rates an die Liberalen, der Präsident des Europaparlaments sowie die Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik an die Europäische Volkspartei: Diese Aufteilung sollen die Staats- und Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs, Spaniens und der Niederlande vom G20-Treffen in Osaka zu ihrem Sondergipfel in Brüssel mitgebracht haben.

Doch bei näherer Betrachtung offenbarten sich schon vor dessen Beginn am Sonntagabend mehrere Bruchstellen. Die erste nannte Frankreichs Staatspräsident, Emmanuel Macron, selbst bei seinem Eintreffen: „Von den vier Posten, die vom Europäischen Rat abhängen, müssen zwei mit Männern und zwei mit Frauen besetzt sein.“ Die Ämter der Präsidenten des Europäischen Rates und der Europäischen Zentralbank (EZB) werden ebenso wie jenes der Hohen Vertreterin von den Staats- und Regierungschefs im Alleingang besetzt, ohne Zutun des Europaparlaments. Dessen Zustimmung ist nur in der Frage erforderlich, wer den Vorsitz der Kommission einnehmen soll (seinen Präsidenten wählt das Parlament logischerweise selbst).

Frauenfrage ist nun Schlüsselfrage

Sprich: Wenn also Timmermans Kommissionschef wird und Macrons Wort vom Halbe-Halbe zwischen den Geschlechtern gilt, müsste Donald Tusk, der gegenwärtige Präsident des Europäischen Rates, eine Nachfolgerin bekommen. Denn für die EZB wurden bisher ausschließlich Männer als Kandidaten genannt (außer natürlich, man zaubert plötzlich die französische Direktorin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, als Überraschungskandidatin aus dem Hut). Doch welche Frau käme für den Europäischen Rat infrage? Einem ungeschriebenen Gesetz dieses Klubs der EU-Chefs zufolge muss es ein aktiver oder früherer Staats- oder Regierungschef sein. Da gäbe es Dalia Grybauskaitė, die demnächst abtretende Präsidentin Litauens. Doch sie hat keine Lobby im Kreise der Chefs, manchen gilt sie als zu unberechenbar – und vor allem: Sie ist keine Liberale.

Am Ratspräsidenten hängt auch das zweite Problem des angeblichen (das Prädikat „angeblich“ kann man angesichts all des politischen Spins nicht oft genug anwenden) Osaka-Quartetts: Sollte Timmermans Kommissionschef werden, ist es schwer vorstellbar, wie ein anderer Benelux-Politiker dieses Amt bekommen soll. Damit fielen sowohl der belgische Ministerpräsident, Charles Michel, als auch sein Amtskollege aus Luxemburg, Xavier Bettel, aus der Gleichung.

Man sieht also: So einfach, wie manche Berichte es nach Bekanntwerden des angeblichen Osaka-Quartetts am Sonntag darstellten, ist die Entscheidung über die Spitzenämter der EU nicht. War die frühe Nennung von Timmermans möglicherweise ein Versuch, seine Akzeptanz im Verlauf des Gipfeltreffens, dessen Ausgang bei Redaktionsschluss der „Presse“ noch lang nicht feststand, möglichst früh zu testen?

ÖVP schießt gegen Timmermans

Offenkundig war, dass nicht nur die vier Visegrád-Staaten Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn ihn ablehnen und möglicherweise auch Italiens populistische Regierung wenig Freude mit dem in Sachen Rechtsstaatlichkeit und europäische Grundwerte prinzipientreuen Niederländer haben. Auch innerhalb der EVP wollen viele nicht so einfach akzeptieren, dass ihr Spitzenkandidat, Manfred Weber, im Handumdrehen beiseitegewischt und durch jenen der Sozialdemokraten ersetzt wird, die letztlich bei der Europawahl schwere Verluste erlitten hatten. „Eine Entscheidung für Timmermans würde den Wählerwillen ignorieren. Was wir hier sehen, ist genau die Hinterzimmerpolitik, die dazu führt, dass sich die Wählerinnen und Wähler nicht mit der EU und ihren Institutionen identifizieren und somit immer mehr Vertrauen in die EU verloren geht“, teilte der frühere Europaminister Gernot Blümel von der ÖVP mit. „Speziell in der Migrationspolitik vertritt er linke Positionen, die ganz klar abgewählt wurden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2019)

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