Die Aufnahme eines Gespräches zwischen dem möglichen EU-Kommissionschefs Timmermans und dem bulgarischen Ministerpräsidenten Borissow zeigt, wie Personalfragen mit nationalen Interessen verknüpft werden.
Die Prozedur ist bekannt, auch wenn sie normalerweise niemand an die Öffentlichkeit trägt. In den Hinterzimmern des EU-Ratsgebäude werden in Einzelgesprächen Deals vereinbart, um gemeinsame europäische Beschlüsse zustande zu bekommen. Mit mehr oder weniger Druck werden dabei Zustimmungen mit anderen Themen verknüpft, werden kleine Erpressungen vorgenommen oder Freundschaftsdienste eingefordert. So auch in der Nacht auf Montag, als es um die Bestellung des nächsten EU-Kommissionspräsidenten ging.
Bulgariens Ministerpräsident Boyko Borissow lud sich den bisherigen Vizepräsidenten der EU-Kommission, Frans Timmermans, in ein kleines Konferenzzimmer. Dort versicherte er dem Sozialdemokraten vor laufender Kamera seine Unterstützung. Davor hatte der ehemalige Fußballer, Leibwächter und konservative Bürgermeister von Sofia laut Ratskreisen noch bei der Entscheidung zu Gunsten von Timmermans als möglichen Nachfolger von Jean-Claude Juncker gebremst. Offenbar wollte er in einem persönlichen Gespräch noch etwas für sein Land herausholen.
Was das sein könnte, gab er dann rasch preis: Etwa einen schnellen Schengen-Beitritt für Bulgarien, die Unterstützung für die Einrichtung eines Gas-Hub, einer kommerziellen Gas-Drehscheibe, wie sie etwa im österreichischen Baumgarten besteht, oder ein Entgegenkommen im regelmäßigen Rechtsstaats- und Korruptionsmonitoring, das von der EU-Kommission durchgeführt wird.
Das Gespräch wurde von Borrisows Team am Montag live auf Facebook übertragen und ist immer noch abrufbar. Es belegt nicht nur den informellen Deal, sondern auch die eigenartige Gesprächsatmosphäre, in der sich Timmermans freundschaftlich andient, ohne aber konkrete Zusagen zu machen. Es ist ein Geplauder, in der jede Seite sichtlich versteht, worum es geht, keiner aber die Ebene der Diplomatie verlässt. Der niederländische Anwärter für das Amt des Kommissionspräsidenten spricht von „Freundschaft“, die auf Borissows Bemühen im Kampf gegen Korruption in seinem Land beruhe. „Wir haben immer gut zusammengearbeitet.“ Der Bulgare versichert ihm wiederum, er wisse zwar, dass es aus Osteuropa Vorbehalte gegen ihn gebe, doch habe er seinen Kollegen versichert, er sei von seiner Integrität überzeugt.
Offenbar wurde Timmermans nach einigen Minuten die Optik dieses intimen Gesprächs bewusst. Er drehte sich Richtung der im Raum aufgestellten Kamera und sagte: „Ich bin nicht sicher, ob wir das alles aufnehmen sollten.“ Der Mitschnitt wurde gestoppt. Der Rest des Gesprächs blieb geheim.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2019)