Johnson setzt auf eine Brexit-Wahl

Britain's Prime Minister Boris Johnson speaks during PMQs session in the House of Commons in London
Britain's Prime Minister Boris Johnson speaks during PMQs session in the House of Commons in LondonREUTERS
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Der Premierminister sucht nach der Parlamentsniederlage den Ausweg über Neuwahlen, um den EU-Austritt liefern zu können. Aber seine Widersacher wollen zuerst den No-Deal-Brexit vom Tisch.

London. Großbritannien steuert auf die nächste große politische Konfrontation zu: Mit vorgezogenen Neuwahlen am 15. Oktober will Premierminister Boris Johnson den gordischen Brexit-Knoten endgültig durchschlagen. Unmittelbar nach der Abstimmung am Mittwochabend, in der im Unterhaus eine Mehrheit für den Stopp von Johnsons No-Deal-Kurs erwartet wurde, wollte Johnson einen Antrag auf Auflösung des Parlaments stellen. Um diese durchführen zu lassen, braucht er aber eine Zweidrittelmehrheit, und die Opposition will nicht mitspielen: „Wir werden heute nicht für Johnsons Vorstoß stimmen“, sagte Labour-Brexit-Sprecher Keir Starmer. „Wir werden Neuwahlen haben. Aber erst wenn wir das erledigt haben, was wir zu tun haben. Mit Sicherheit werden wir dabei nicht nach Johnsons Pfeife tanzen.“

In seiner ersten Fragestunde als Premierminister, der traditionellen Konfrontation zwischen Regierungschef und Opposition, bemühte sich Johnson gestern, Labour-Chef Jeremy Corbyn zu einer Reaktion zu provozieren, indem er ihm „Feigheit“ und eine „Unterwanderung“ der angeblich „substanziellen Fortschritte bei den Verhandlungen mit der EU“ vorwarf. Corbyn erwiderte ungerührt: „Man kann mir nicht die Sabotage von etwas vorwerfen, was gar nicht stattfindet.“ Laut EU-Diplomaten hat London keinerlei neue Vorschläge zu dem vorliegenden Brexit-Deal vorgelegt.

Mit einem Gesetzesantrag wollten die Gegner von Johnsons Vorgangsweise endgültig einen Austritt ohne Abkommen mit der EU vom Tisch nehmen. Nach der ersten Niederlage des Premiers in seiner ersten Abstimmung Dienstagnacht mit einer Mehrheit von 27 Stimmen wurde mit einem weiteren Erfolg seiner Gegner gerechnet. Sie werden die Abwehr eines No-Deal-Brexit festschreiben. Danach muss dieses Gesetz vom Oberhaus bestätigt werden, ehe es nach Notifikation durch Queen Elizabeth in Kraft treten kann. Dafür muss alles im Eilverfahren wie am Schnürchen klappen, denn ab Montag hat der Premierminister das Recht, das Parlament für fünf Wochen auf Zwangsurlaub zu schicken.

Labour fordert Verschiebung

Diese umstrittene Maßnahme droht für Johnson nun zum Eigentor zu werden. Mit der Beurlaubung des Parlaments nimmt er sich Zeit, um mit der Opposition eine Vereinbarung über Neuwahlen rechtzeitig vor dem Austrittsdatum, dem 31. Oktober, auszuhandeln. Die Stimmung ist zudem nicht auf seiner Seite: Labour lancierte einen Plan, den Premier erst zu verpflichten, in Brüssel um eine Verlängerung des Brexit-Verfahrens bis 31. Jänner 2020 ansuchen zu müssen, und erst dann Neuwahlen zuzustimmen. Johnson am Dienstag im Unterhaus: „Unter keinen Umständen werde ich eine weitere sinnlose Verschiebung hinnehmen.“

In den Augen der Hardliner würde ihn eine Verzögerung diskreditieren, da er versprochen hatte, den Brexit endlich zu liefern. Aber Johnson hat sich mit seinem Konfrontationskurs selbst in die Ecke manövriert und hat keine Mehrheit im Parlament mehr hinter sich. Nicht nur wechselte der Abgeordnete Phillip Lee zu den Liberaldemokraten. Die 21 Rebellen, die in derselben Nacht gegen die Regierungsposition gestimmt hatten, wurden wie angedroht aus der Fraktion ausgestoßen. Es blieb nicht unbemerkt, dass Johnsons Vorgängerin Theresa May zwischen zwei von ihnen – Ken Clarke und Antoinette Sandbach – im Parlament Platz nahm. Die im Unfrieden mit Johnson geschiedene Chefin der schottischen Konservativen, Ruth Davidson, erklärte: „Bei allem, was recht ist: Wo sind wir hingelangt, wenn in unserer Partei kein Platz mehr für einen Nicholas Soames ist?“ Der Churchill-Enkel hatte ebenfalls mit den Rebellen gestimmt und wurde danach bestraft.

Angesichts dieser Kräfteverhältnisse ist nicht nur ungewiss, ob Johnson Neuwahlen erzwingen, sondern auch, ob er sie gewinnen kann. In Schottland fielen die Konservativen zuletzt von 13 auf drei Mandate. Im Norden Englands müssten sie bis zu 70 Labour-Sitze erobern, um erwartete Verluste im Süden zu kompensieren. Ob Johnsons Strategie aufgeht, sich als der Mann zu präsentieren, der den Brexit zu Ende bringt und Corbyn verhindert, ist zweifelhaft: Die britische Wirtschaft ist bereits in der Rezession, und ohne einen Deal mit der EU wird das Volkseinkommen um bis zu 8,7 Prozent einbrechen. Studienautor Anand Menon gestern zur „Presse“: „Dass wir uns nicht täuschen: Der harte Brexit wäre erst der Anfang.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2019)

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