EU-Parlament: Zitterpartie für von der Leyen

Ursula von der Leyen muss mit Widerstand gegen ihr Team im Europaparlament rechnen.
Ursula von der Leyen muss mit Widerstand gegen ihr Team im Europaparlament rechnen. (c) APA/AFP/KENZO TRIBOUILLARD (KENZO TRIBOUILLARD)
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Vier Kommissionsanwärter müssen angesichts der Animosität zwischen den Parteien ihre Anhörung fürchten.

Brüssel. Es hat die Züge eines Opferritus: Wenn eine neue Truppe designierter EU-Kommissare zu ihren Anhörungen im Europaparlament antritt, wird zumindest einer von ihnen abgelehnt. Im Jahr 2004 erwischte es Italiens Europaminister, Rocco Buttiglione. 2009 die bulgarische Außenministerin, Rumjana Schelewa. 2014 musste die ehemalige slowenische Regierungschefin Alenka Bratušek ihre Bewerbung zurückziehen, beinahe hätte es auch den ungarischen Justizminister, Tibor Navracsics, erwischt. Wer wird dieses Mal bei seiner Anhörung im Europaparlament scheitern und somit nicht EU-Kommissar werden?

Eine Verschiebung droht

Diese Frage beschäftigt seit der Vorstellung der Kandidatenliste der designierten Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, sämtliche politische Akteure in Brüssel und in den Regierungskanzleien der Hauptstädte. Die Anhörungen in den jeweiligen Fachausschüssen des Parlamentes sollen gemäß dem gemeinsamen Beschluss der Fraktionsführer am Nachmittag des 30. September in Brüssel beginnen und am 8. Oktober enden.

Dieses Jahr könnte sich jedoch die Annahme, es bliebe bei einem Kandidaten, der vom Parlament abgelehnt wird, als fataler Irrtum erweisen. Eine von Rache getriebene Kettenreaktion könnte bis zu vier Kandidaten aus von der Leyens erhoffter Equipe entfernen. Das würde Schwierigkeiten schaffen, in aller Eile neue Anwärter zu finden, die in das fragile politische und geografische Gleichgewicht dieses Personalpaketes passen. Mit großer Wahrscheinlichkeit verschöbe sich der für 1. November geplante Amtsantritt der neuen Kommission, vielleicht sogar bis Neujahr. Keine ermutigende Aussicht angesichts der Herausforderungen, den Brexit zu bewältigen und einen siebenjährigen Finanzrahmen mit den Mitgliedstaaten und dem Parlament zu verhandeln.

Zwei Gründe erhöhen die Möglichkeit eines solchen politischen Kataklysmus. Erstens ist die Animosität zwischen den politischen Gruppen, allen voran zwischen der Europäischen Volkspartei (EVP) und den Sozialdemokraten (S&D), so groß wie nie seit Beginn der Direktwahl des Parlaments im Jahr 1979.

Das liegt vor allem an der angespannten politischen Lage in mehreren Mitgliedstaaten in Mittel- und Osteuropa, allen voran Ungarn und Rumänien. Die bisherige Bereitschaft, die Ablehnung des eigenen Kandidaten murrend, aber ohne Gegenschlag hinzunehmen, ist gering. „Jeder ist gerade dabei, seinen Giftschrank zu füllen“, verlautete es gegenüber der „Presse“ aus dem Parlament.

Gewichtige Wackelkandidaten

Zweitens trifft es sich, dass heuer sowohl die EVP als auch die S&D leicht angreifbare Kandidaten aufgereiht haben. Der langjährige ungarische Justizminister László Trócsányi, Intimus von Ministerpräsident Viktor Orbán und Architekt der Verfassungsumbauten, die dem Land das Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages eingebrockt haben, ist als Erweiterungskommissar nominiert. Die rumänische Sozialdemokratin Rovana Plumb, designierte Verkehrskommissarin, musste bereits als Ministerin wegen Korruptionsverdachts abdanken. Dazu kommen die liberale Französin Sylvie Goulard (Industrie, Verteidigung) und der konservative Pole Janusz Wojciechowski (Landwirtschaft), gegen welche die Antikorruptionsbehörde Olaf ermittelt.

Gegen eine Ablehnung dieser Kandidaten spricht, dass sowohl die 13 ungarischen Mandatare des Fidesz für die EVP als auch die zehn rumänischen der S&D wichtige Machtfaktoren der Fraktionen sind. Goulard wiederum ist Favoritin von Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron. Der Wille, diese wichtigen Kandidaten zu „opfern“, wäre gering. Will man es im Parlament riskieren, einen hochrangigen politischen Konflikt in der EU loszubrechen? Vorerst betonen die Gruppen ihren guten Willen. „Zum jetzigen Zeitpunkt ist es Absicht der Fraktion, konstruktiv in die Anhörungen zu gehen“, hieß es beispielsweise aus der EVP gegenüber der „Presse“. Nachsatz: Niemand sollte es auf eine „Schlammschlacht“ anlegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2019)

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