Deutschland: Die alten neuen Feindbilder

Zwei Wahlplakate, eine ähnliche Grundbotschaft. Programmatisch grenzen sich die beiden Parteien jedoch scharf voneinander ab – etwa in der Flüchtlingspolitik.
Zwei Wahlplakate, eine ähnliche Grundbotschaft. Programmatisch grenzen sich die beiden Parteien jedoch scharf voneinander ab – etwa in der Flüchtlingspolitik. (c) imago/Rüdiger Wölk
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FDP und Grüne grenzen sich im Wahlkampf scharf voneinander ab. Am Ende könnten sie gemeinsam in der Regierung landen. Aber der Weg nach „Jamaika“ ist weit, sehr weit.

Berlin. Es ist nicht weit von Berlin nach „Jamaika“. Der Weg führt vorbei an Windrädern und Ackerland. Dort im hohen Norden, in Schleswig-Holstein, an der Ost- und Nordseeküste, läuft seit drei Monaten Deutschlands spannendstes Politikexperiment. Die sogenannte Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen unter der Führung von Daniel Günther arbeitet bisher ziemlich geräuschlos, ja sogar „sehr erfolgreich“, wie der grüne Bundesspitzenkandidat Cem Özdemir findet. Aber das ist schwarz-gelb-grüne Landespolitik. Auf Bundesebene liegt zwischen FDP und Grünen dann doch ein Ozean. Oder?

Manchmal trennt sie nur ein Tischtuch. Die Duzfreunde Özdemir und FDP-Chef Christian Lindner gehen gern gemeinsam Mittagessen. Ein „guilty pleasure“ nannte das einmal „Die Zeit“, also ein sündhaftes Vergnügen. Denn am Sonntag in Berlin liegen zwischen Grünen und FDP zehn Kilometer, aber gefühlt ist es jetzt wieder ein Ozean. „Wer den Klimawandel will, muss die FDP wählen“, höhnte Ko-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt auf dem Parteitag der Grünen im Berliner Gasometer. Die Große Koalition, das sei Stillstand, Schwarz-Gelb, das sei Rückschritt.

Im Berliner Estrel-Hotel spottete Christian Lindner derweil vor den FDP-Delegierten: „Wer etwas Unfehlbares will, muss in die katholische Kirche oder zu den Grünen gehen.“ Lindner zählt auch alle Gemeinheiten auf, die Grün-Politiker zuletzt seiner FDP an den Kopf geworfen haben: „Menschenfeinde“ zum Beispiel oder „Diktatorenfreunde“, weil Lindner die russische Krim-Annexion als „dauerhaftes Provisorium“ bezeichnet hatte.
Da wie dort schimmern alte Feindbilder durch: Die Grünen als spaßbefreite Verbotspartei, die FDP als umweltfeindliche Ellbogengesellschaft.

Dahinter steckt auch Kalkül. Das Rennen um Platz eins scheint gelaufen, weshalb der Wahlkampf nun um zwei Fragen kreist: Wer wird drittstärkste Kraft? Und reicht es für Schwarz-Grün oder für Schwarz-Gelb? Die Ausgangslage ist ein Geschenk für FDP und Grüne. Weil sie taktische Wähler ermutigt und hilft, die eigenen Reihen zu mobilisieren. Doch derzeit schwächeln die Grünen bei 7,5 bis 8 Prozent. Die FDP sehen Meinungsforscher zwischen neun und zehn Prozent. Meist reicht es in Umfragen nur für eine Neuauflage der Großen Koalition. Oder eben Union-FDP-Grüne. Weshalb man auf den Parteitagen zwar auf maximale Abgrenzung setzt – ohne „Jamaika“ auszuschließen. Ein Balanceakt.

Es gibt große Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Parteien – bei Bildung, Digitalisierung, Bürgerrechten zum Beispiel (und auch bei der Wählerschaft, die jeweils besser gebildet ist und mehr verdient als der Durchschnitt). Und sowohl FDP als auch Grüne wollen ein Gesetz, das Einwanderung nach Punkten ermöglicht. Aber es gibt eben auch gewaltige Hürden.

Der Diesel sorgt für dicke Luft

Nach dem Dieselskandal drängen die Grünen auf den Anfang vom Ende des Verbrennungsmotors. Die Forderung nach einem Aus im Jahr 2030 ist zwar Verhandlungssache. Irgendein Bekenntnis dazu muss aber im Koalitionsvertrag stehen. Die grüne Zukunft fährt elektrisch. Die FDP will den Weg zur Erreichung der Klimaziele indes „der Kreativität der Ingenieure“ überlassen, so Lindner. Wie das Auto der Zukunft angetrieben werde, wüssten weder er, der Politikwissenschaftsabsolvent, noch Özdemir, der Sozialpädagoge, erklärt Lindner. Die Subventionen nach der Energiewende will er zurückfahren. Mehr Markt, weniger Staat eben. Dass Lindner auch eine Aufweichung der vom Diesel ausgereizten Stickoxidgrenzwerte in den Städten erwägt, überschreitet eine rote Linie der Grünen.

Es gibt noch weitere Fallstricke: die Euro-Politik etwa, oder die Flüchtlingspolitik: Wie die Union – und anders als die Grünen – verlangt die FDP, Algerien, Tunesien und Marokko als sichere Herkunftsländer einzustufen. Es hakt überall, wo die Grünen mehr und die FDP eher weniger Staat wollen, bei der Mietpreisbremse etwa, die die Grünen verschärfen und die Freien Demokraten abschaffen wollen. Oder bei der Garantierente, einer Art grüner „Mindestpension“.

Für die CDU hätte „Jamaika“ seinen Reiz, zwei Partner, die sich gegenseitig neutralisieren. Anders als in Schleswig-Holstein wäre jedoch die CSU mit an Bord, deren Obergrenze alle ablehnen – Grüne, FDP, CDU. Dass die FDP zudem auf den Platz von Wolfgang Schäuble (CDU) schielt, das Finanzministerium, dürfte zusätzlich irritieren. FDP-Chef Lindner selbst wiederholt notorisch, dass ihm die Fantasie für Schwarz-Gelb-Grün fehle. Und der linke Flügel der Grünen will keineswegs in die Karibik. Aber unerreichbar ist „Jamaika“ nicht.

Post aus Berlin

Jürgen StreihammerBerlin Korrespondent Jürgen Streihammer schreibt in der Rubrik "Post aus Berlin" täglich aus der deutschen Hauptstadt. Aktuelles, Spannendes, Informatives - manchmal auch mit einem kleinen Augenzwinkern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2017)

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