Kanada: „Ein zartes Fleisch, reich an Eisen“

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Kanada bdquoEin zartes Fleisch(c) AP (Ann Heisenfelt)
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Das Land ist einer der bedeutendsten Pferdefleischexporteure, jährlich werden hier mehr als 80.000 Tiere geschlachtet. Die Hauptabnehmer sind in Europa und Asien.

Während sich der europäische Pferdefleischskandal unaufhaltsam ausweitet – am Mittwoch tauchten auch in Tschechien Tiefkühlprodukte mit dem Etikett „vom Rind“ auf, die Spuren von Pferdefleisch enthielten – scheint Nordamerika (vorerst) nicht betroffen zu sein. Dabei dürfte dort ein Faktum unbekannt sein: Kanada ist einer der größten Exporteure von Pferdefleisch. In den vergangenen Jahren wurden dort jährlich zwischen 80.000 und mehr als 100.000 Pferde geschlachtet. Die Abnehmer sitzen vor allem in Europa und Asien.

Im anglokanadischen Raum wird Pferd kam gegessen, eher schon in der französisch geprägten Küche Québecs. Neben den Kanus waren Pferde wichtige Transportmittel bei der Erschließung des Westens, Pferde halfen, die Prärie urbar zu machen. „Die Rancher arbeiteten mit Pferden, haben in ihnen aber kein Nahrungsmittel gesehen“, sagt Sylvain Charlebois vom College of Management and Economics an der Universität von Guelph in Ontario, die auf landwirtschaftliche Forschung spezialisiert ist. Für die englischstämmige Bevölkerung sei Pferd daher „ein kulinarisches Tabu“; er als gebürtiger Québecer habe dagegen schon immer Pferd gegessen. „Es ist ein zartes Fleisch, reich an Eisen.“

Belgien ist größter Abnehmer

Die Pferdeschlachterei erlebte in Kanada einen Boom, nachdem die USA 2007 das letzte Pferdeschlachthaus geschlossen hatten. Damals wurden in Kanada nur rund 50.000 Pferde jährlich für den menschlichen Konsum getötet, 2008 waren es schon 113.000, das ist der bisherige Rekordwert. Nach den Daten des Statistikamts exportierte Kanada im Vorjahr rund 17.600 Tonnen Fleisch von Pferden, Eseln, Mauleseln und Maultieren, der größte Teil stammt von Pferden. Der größte Abnehmer ist Belgien mit rund 5000 Tonnen, gefolgt von Frankreich, Japan, Kasachstan und der Schweiz. Der Exportwert wird mit umgerechnet rund 70 Millionen Euro beziffert.

Der „Toronto Star“ bezeichnete 2011 das Pferdeschlachten als „schmutziges kleines Geheimnis“ und bezog dies auf den Umfang der Schlachtens und dessen Umstände; diese werden von Tierschützern angeprangert. Die „Humane Society International“ und die „Canadian Horse Defence Coalition“ beklagen nämlich, dass Tiere, die in den USA auf „Kill-Auktionen“ gekauft werden, oft über mehrere tausend Kilometer zu den vier kanadischen Schlachthäusern in den Staaten Alberta und Québec transportiert werden.

„70 Prozent der Schlachtpferde kommen aus den USA“, sagt Ewa Demianowicz von der Humane Society in Montréal. Bei glühender Hitze würden Pferde in Pferchen auf diesen Auktionen gehalten, ohne Heu und Wasser, schrieb der „Toronto Star“. Dabei seien Pferde Fluchttiere, die bei Gefahr Reißaus nehmen, betonen Tierschützer. In Panik würden sie gegen die Wände der Box rennen, in die sie vor der Schlachtung gebracht werden, sich verletzen und ihre Tötung erschweren. Pferdeschlachten sei inhuman und unnötig.

Problematische Medikamente

Hinzu kommt noch ein Problem: Pferde werden meist nicht als Nahrungsmittel gehalten, sondern dienen Arbeits- und Sportzwecken. Als Arbeitstiere werden sie selten medikamentös behandelt. Sportpferde aber werden oft mit dem entzündungshemmenden Schmerzmittel Phenylbutazon (PBZ) behandelt, das in den USA, Kanada und der EU in Lebensmitteln verboten ist. Das kanadische Pferdefleisch wird aber nur stichprobenartig untersucht: Nach Angaben der Canadian Food Inspection Agency wurden 2012/2013 nur 385 Pferdeproben genommen, das entspricht 0,42 Prozent der in den Schlachthäusern getöteten Pferde. Dies entspreche internationalen Standards, sagt die Behörde, und laut Experten müsste ein Mensch riesige Mengen Pferd essen, um eine riskante PBZ-Dosis zu erreichen.

Dass 2012 in Belgien in kanadischem Pferdefleisch PBZ und das auch als Doping benutzte Medikament Clenbuterol aufgetaucht ist, sei nach Ansicht von Sinikka Trossland von Canadian Horse Defence nur „die Spitze des Eisbergs“. Die Humane Society ruft die EU auf, Pferdefleischimporte aus Amerika zu stoppen. Die Tierschützer möchten das Töten von Pferden für den menschlichen Konsum sowieso stoppen: „Pferdefleisch essen ist nicht Teil der kanadischen Kultur. Wir sehen Pferde als Haustiere und Begleiter“, sagt Demianowicz.

Hintergrund

Im Jänner fand man in Irland und Großbritannien undeklarierte Spuren von Pferdefleisch in Lebensmitteln wie Tiefkühllasagne und Fleischsugo, die laut Etikett andere Fleischarten beinhalten. Mittlerweile sind u. a. auch Deutschland, Belgien, Frankreich und Österreich betroffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2013)

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