"Frauenpower auf Arabisch": Jenseits von Klischee

Frauenpower Arabisch Jenseits Klischee
Frauenpower Arabisch Jenseits KlischeeBouschra al-Mutawakil
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"Presse"-Korrespondent Karim El-Gawhary porträtiert in seinem Buch "Frauenpower auf Arabisch" arabische Frauen von heute und vor dem Hintergrund historischer Umbrüche. Wir bringen einen Auszug daraus.

Sie hat es zu Hause oft genug geübt und genau gestoppt: Nur acht Minuten braucht Graffiti-Künstlerin Mira Shihadeh, um ihr „Supergirl“ an die Hauswände Kairos zu sprühen – ihre arabische Comic-Heldin, stets in den ägyptischen Nationalfarben Schwarz, Weiß und Rot gehalten, sprüht selbst kämpferisch mit einem Insektenspray ein paar nervige Männer wie Kakerlaken weg. „Nein zur sexuellen Belästigung“, heißt es daneben auf Arabisch.

„Das ist meine ägyptische 007, sie zieht ihre Sprühdose und pustet einfach alles weg“, beschreibt Mira ihr Werk. „Spray it, Habibti“, „Sprüh's weg, Liebling“, hat jemand auf Facebook ihre paradoxe Figur getauft. Kämpferisch breitbeinig steht sie da, aber auch sexy mit ihren Stöckelschuhen, in engen Leggings und einem Oberteil, das ihre Rundungen betont, und lächelt mit ihren rot geschminkten Lippen unter dem Kopftuch hervor.

„Spray it, Habibti“ verkörpert so ziemlich alle Widersprüche vieler junger arabischer Frauen. Ihre Sexualität zelebrierend, die auch das Kopftuch nicht verstecken kann, sind sie oft Opfer sexueller Belästigung, beginnen aber auch, sich aggressiv gegen die eigene lästige Männerwelt zur Wehr zu setzen, und gegen einen Westen, der sie nur als Opfer sieht.

Araberinnen sind nicht so einfach. Es sind dieselben Widersprüche, die auch in diesem Buch immer wieder auftauchen werden. Denn arabische Frauen sind komplexer, als sie im Westen oft wahrgenommen werden. Die einen in Europa nehmen sie in ihren islamfeindlichen, oft offen rassistischen Blogs als Beweis, die Schlechtigkeit der Religion zu untermauern. Die anderen illustrieren mit ihnen die Rückständigkeit patriarchaler Gesellschaften. So werden die arabischen Frauen vereinnahmt, die wenigsten machen sich die Mühe, sie selbst zu fragen.

Die Unterdrückung der arabischen Frau ist ein gutes Geschäftsmodell. Aber in den vorliegenden Texten kommen die Frauen selbst zu Wort oder lassen ihr Leben für sich sprechen. Die Araberinnen, die jetzt, besonders in Zeiten des Umbruchs, für ihre Rechte kämpfen, brauchen kein selbstgefälliges westliches Bedauern und Mitgefühl, das als Stigma an ihnen klebt. Die Frauen sind der Schlüssel für den Erfolg der arabischen Revolution.


Die 30 Tonnen der Umm Khaled
26 November 2012

Ein Kilo von den ägyptischen Bananen und eines von den importierten roten Äpfeln“, verlangt Ferial Khalil vom Obsthändler am Rand der Straße. Mit ihrer weiten Bluse, leicht korpulent, ihrem Kopftuch und einer großen Sonnenbrille sieht sie aus wie eine typische ägyptische Mama, die für ihre Familie auf dem Markt einkauft.

Doch dann nimmt Ferial die Tüten und schreitet in Richtung ihres wenige Meter entfernt geparkten Arbeitsgerätes. Einem Lastwagen mit einem 30-Tonnen-Container, den sie morgens vom Hafen in Alexandria abgeholt und bis zu diesem Kairoer Vorort chauffiert hat. Nicht nur die Autofahrer nehmen den Fuß vom Gaspedal, auch Fußgänger blicken amüsiert, als die 56-Jährige schwungvoll die Stufen zur Fahrerkabine hochsteigt. Die Frau erregt Aufsehen, wo immer sie anhält.

Kein Wunder, Ferial oder Umm Khaled, wie sie auch genannt wird, kurvt zwar seit 30 Jahren mit ihrem Lkw durchs Wüstenland, ist aber die einzige Fernfahrerin des Nillandes geblieben. „Ich bin es gewöhnt, dass die Leute glotzen und sich die Augen reiben und versuchen, zu allen freundlich zu sein“, erklärt sie, während sie die Kabine erklimmt. „Gott hat mir diesen Beruf gegeben, und er sorgt dafür, dass ich mich damit zurechtfinde. Ich fahre nachts durch die Wüste, manchmal hat der Wagen einen Schaden und bleibt auf der Strecke, und ich habe es unterwegs wirklich mit den schlimmsten Typen zu tun. Diese Arbeit verträgt keine Verletzlichkeit. Aber ich schaffe das“, sagt sie ohne Zweifel in der Stimme.

Die Sensation am Lenkrad. Die Fernfahrerwelt ist weltweit männerdominiert, aber in Ägypten hat Ferial einen sensationellen Status, wie etwas, was es gar nicht geben kann oder von dem man zwar vermutet, dass es existieren könnte, was man aber noch nie zu Gesicht bekommen hat: wie Wasser auf dem Mars etwa. Ihre männlichen Kollegen, die wie sie an einem Truckerstopp in einem Vorort Kairos Pause machen, reagieren auf sie mit einer Mischung aus Bewunderung für sie persönlich und grundsätzlichem Misstrauen gegenüber der professionellen Tauglichkeit ihres Geschlechterstandes. Jedenfalls gibt es dort niemanden, der sie nicht kennt oder nicht zumindest von der Legende Umm Khaled gehört hat.

Hamdy kommt mit seinem Brummi gerade aus einer der Oasen in der westlichen Wüste und hat ebenfalls an der Lkw-Haltestelle eine Pause eingelegt. Er unterhält sich mit Ferial und borgt sich einen Satz Kabel von seiner Kollegin aus. Einander zu helfen ist selbstverständlich, meint Ferial. Hamdy nickt. „Wir alle kennen Umm Khaled, schließlich fährt sie schon seit drei Jahrzehnten“, sagt er. „Wir respektieren sie persönlich für das, was sie macht, aber es ist schwer für sie. In unserer Gesellschaft ist so etwas sehr ungewöhnlich. Sie ist stark, aber Männer können die Verantwortung und die Schwierigkeiten dieser Arbeit besser aushalten.“

Dann kommt Ayub Ibrahim mit seinem großen Gefährt. Ferial winkt ihn rechts ran. „Erzähl dem Journalisten, was du von einer Fernfahrerin hältst“, fordert sie ihn auf. Der gibt aus seiner Kabine sein schnelles Urteil ab. „Beim Fahren gibt es keinen Unterschied, ob Mann oder Frau. Aber kann eine Frau nachts in der Wüste einen Reifen wechseln, wenn sich Wegelagerer in der Nähe tummeln?“, fragt er.

Ferial hat es schwerer als viele ihrer männlichen Kollegen, denn sie fährt ohne Begleiter, die ihr bei Reparaturen zur Seite stehen könnten. „Ich hatte früher einen Assistenten“, erzählt sie. Aber sie könne sich zum Schlafen natürlich nicht mit einem Mann die Kabine teilen. Weswegen dieser unter dem Fahrzeug geschlafen habe. Einmal, beim Stopp am Rande einer Wüstenstraße, war sie gerade dabei, sich in der Kabine schlafen zu legen, als ihr Assistent panisch nach ihr rief – vom Dach des Containers, auf das er sich vor einem Wolf gerettet hatte. „Seither bin ich nur noch allein unterwegs.“

Die Härten der Jugend. Ein hartes Leben hat Ferial nicht nur, seit sie die Brummis fährt. Mit zwölf war sie von ihrer Tante, bei der sie im Nildelta lebte, unter Angabe eines falschen Geburtsdatums an einen älteren Mann verheiratet worden. Selbst noch halbes Kind, gebar sie ihren Sohn Khaled. Die Ehe war die Hölle, erinnert sie sich. Oft wurde sie geschlagen.

Mit sechzehn schaffte sie es, sich scheiden zu lassen. Es folgte der Versuch, sich ein zweites Leben aufzubauen, ohne Abhängigkeiten. Zurück bei ihrer Tante, lernte sie mit einem Tutor Lesen und Schreiben. Ohne jegliche Ausbildung träumte sie davon, wegzukommen und ein Auskommen zu finden, mit dem sie sich und ihren Sohn durchbringen könnte, den sie bei der Mutter ihres Exmannes zurücklassen musste. Da begegnete sie einer der wenigen Taxifahrerinnen Ägyptens und beschloss, selbst einen Berufsführerschein zu machen. „Bei der Anmeldung verlangten sie sechs Fotos und ein Zeugnis, dass ich den Militärdienst abgeleistet habe“, lacht sie. „Onkel Gaber, glaubst du wirklich, dass ich irgendwann selbst, ohne dich an der Seite, Auto fahren werde?“, fragte sie den Fahrlehrer nach einigen Lehrstunden. Seine prophetische Antwort: „Nicht nur das, du wirst eine Attraktion werden.“

In ihrem ersten Job chauffierte sie ein Sammeltaxi mit sieben Passagieren nach al-Arisch im Norden des Sinai und Rafah an der Grenze zum Gazastreifen. Doch ihr Appetit, die fahrende Männerwelt zu erobern, war noch nicht gestillt. Eines Tages stand sie auf einem Parkplatz zwischen Lkw. Die Fahrer machten sich über sie lustig. Die Größe des Sammeltaxis passe zu ihr, denn als Frau werde sie nie so etwas Großes haben wie sie, stichelten sie. Verärgert fuhr sie davon und meldete sich, zwei Jahre nach Erhalt des Taxischeins, für die Lizenz für kleinere Lkw an. Und als wieder die nötige Frist von zwei Jahren vorüber war, machte sie den Schein, um große Brummis zu fahren. Stolz zieht sie ihn aus der Tasche. „Damals waren die Fahrlehrer beeindruckt, weil ich als eine der ganz wenigen nicht mit irgendwelchen Visitenkarten ankam oder Beziehungen spielen lassen konnte, um den begehrten Schein zu erhalten“, sagt sie.

Früher fuhr Ferial immer mit einer Baseballkappe, unter der ihre kurzen Haare hervorlugten, bis sie einmal von einem Verkehrspolizisten angehalten wurde. „Bist du ein Mann oder eine Frau?“, fragte der unsicher. „Schämst du dich nicht, so zu einem Mann zu sprechen!“, lautete ihre Antwort. „Aber du bist doch eine Frau“, rief der Polizist nach Studium ihres Führerscheins verwirrt und kündigte an, sofort seine Frau anzurufen, um ihr zu erzählen, was für starke Frauen es gebe.

Ferial ist gläubig. In ihrer Kabine hängt ein Foto, das sie stolz lächelnd bei ihrer Pilgerfahrt nach Mekka zeigt. Das und ihrem Sohn eine Wohnung zu verschaffen waren ihre großen Ziele im Leben. „Ich habe ein Auskommen, also bete ich heute noch für zwei Dinge“, sagt sie: „Sicher und unfallfrei zu fahren und im nächsten Leben Gott mit gutem Gewissen entgegenzutreten.“

Die kargen Früchte der Revolution. Die Revolution und den Aufstand gegen Mubarak hat sie hauptsächlich im kleinen, in der Fahrerkabine montierten Fernseher mitbekommen. „Ich fahre vom Hafen zum Bestimmungsort, lade ein und aus“, meint sie. Nur das Problem mit Wegelagerern habe zugenommen, seit Mubarak während des Aufstands die Gefängnisse öffnen ließ, um Chaos zu stiften, und die Polizei nicht mehr ernstlich ihrem Job nachgeht. „Aber ein guter Mensch wird von Gott geschützt, auch in einer Revolution. Gott passt auf Ägypten auf und gibt den Menschen Lektionen. Ich hoffe, dass die Revolution vieles ändert, leider hat sie bisher nicht viel gebracht.“

Aber wenn sie über die endlosen Wüstenstraßen kreuzt, ist die Politik weit weg. Die weiteste Strecke, die sie für eine Tour einmal zurückgelegt hat, ging bis in die 1700 Kilometer entfernte libysche Hauptstadt Tripolis. „Mein Leben ist die Straße, nicht das Haus.“

Ob ihre Berufswahl nicht auch mit ihrer Erfahrung zu tun hat, in ihrer frühen Ehe misshandelt worden zu sein, frage ich, für ägyptischen Geschmack viel zu direkt. Das ist das erste Mal, dass Ferial nicht gleich antwortet. Sie blickt, das Lenkrad fest im Griff, auf die Straße und die Wüstenlandschaft und kurz in den Rückspiegel, als läge dort ihr verborgenes Leben. „Um ehrlich zu sein“, sagt sie, „ich fahre seit drei Jahrzehnten vor meiner Vergangenheit davon.“

Karim El-Gawhary ist Korrespondent der „Presse“ für den arabischen Raum. In seinem neuen Buch „Frauenpower auf Arabisch. Jenseits von Klischee und Kopftuchdebatte“ porträtiert er Araberinnen mit den unterschiedlichsten Lebensgeschichten und Schicksalen: von Ägyptens erster Richterin über die Scharfschützin des Gaddafi-Regimes in Libyen bis zur Palästinenserin, die an Brandverletzungen durch eine israelische Phosphorgranate gestorben ist; die Geschichte Letzterer ist einfach nur tief erschütternd.

„Frauenpower auf Arabisch“, Verlag Kremayr & Scheriau, 204 Seiten, 22 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2013)

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