Tschechische Republik: Das Ende der Stadtflucht

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Prag wird als Wohnort wieder attraktiv: Nach Jahren der Stadtflucht kehren junge Familien zurück. Vor allem alte Industriegebiete werden nun zum Wohnen entdeckt.

Prag. Über Jahre hinweg galt für die meisten Prager die Devise: nichts wie weg. Die Einwohnerzahl der tschechischen Hauptstadt war rückläufig. Vor allem Familien mit Kindern zogen hinaus ins Grüne. Dass es dort weniger Geschäfte und Infrastruktur gab, störte sie nicht. Hauptsache sei, so hieß es, dass die Kinder in einer gesünderen Umwelt mit frischer Luft aufwachsen können. Anfangs war Bauland im Umland der Hauptstadt auch vergleichsweise billig zu haben. Doch das hat sich mit der steigenden Nachfrage geändert. Zudem stellen viele Menschen fest, dass die tägliche Fahrt nach Prag zur Arbeit wegen der gestiegenen Benzinkosten zu einem Kostenfaktor wird.

Jetzt hat sich der Trend gedreht. In den ersten drei Monaten dieses Jahres hat Prag viertausend Einwohner dazubekommen. Darunter sind zahlreiche Ausländer, aber vor allem Zuzügler oder Rückzügler aus dem Umland.
„Immer mehr junge Familien oder Menschen, die nach Absolvierung eines Studiums Arbeit in Prag gefunden haben, wollen sich eine Wohnung kaufen. Mit der Arbeit in Prag verbessert sich ihre Einkommenssituation derart, dass sich der Kauf der eigenen vier Wände lohnt“, sagt Even Korec von einer Prager Immobilienfirma zur Zeitung „Mlada fronta Dnes“. „Wir verkaufen derzeit in Prag Wohnungen in nahezu kosmischer Geschwindigkeit.“

Gute Verkehrsanbindung

Die Stadtväter reagieren auf die Bedürfnisse der Neu-Prager. Die wollen in der Regel nicht in Plattenbausiedlungen am Rand der Stadt ziehen – auch wenn diese in den vergangenen Jahren durch viel Grün attraktiver geworden sind. Begehrt sind Wohnungen nicht unmittelbar im Zentrum, aber doch zentrumsnah mit möglichst guter Verkehrsanbindung. „Wir wollen die Stadt auch nicht in der Breite ausdehnen, sondern zahlreiche Brachflächen, auf denen nicht mehr genutzte Industriebauten stehen, rekultivieren und für ein angenehmes Wohnen herrichten“, sagt Oberbürgermeister Tomáš Hudeček.

Erste Projekte entstanden vor rund fünf Jahren. Etwa im Stadtteil Michle. Dort ist in unmittelbarer Nähe zum malerischen Botič-Bach auf einstigem industriellen Brachland ein hübsches Miniviertel aus etwa 20 vierstöckigen Häusern hochgezogen worden. Dort leben heute vor allem Familien mit kleinen Kindern.

Comeback der Industrieflächen

Entscheidendes Kriterium für viele ist die Verkehrsanbindung. Bevorzugt dabei wird die Nähe zu einer Station der Metro, mit der man am schnellsten durch Prag transportiert wird. Prag plant langfristig einen massiven Ausbau der Metro um gleich mehrere Strecken. Dort, wo die neuen U-Bahn-Stationen errichtet werden dürften, steigen schon heute die Preise für erst in Planung befindliche Wohnungen. Am meisten nachgefragt werden geräumige Zwei-Zimmer-Wohnungen mit integrierter Küche, reichlich Abstellraum und schönen Bädern zum Quadratmeterpreis von umgerechnet 1500 Euro.

Ein Vorteil der neuen Siedlungen auf einstigen Brachflächen ist, dass diese in der Regel inmitten von schon existierenden Wohngebieten liegen. Damit entfällt der Bau von Einkaufszentren, von denen Prag schon mehr als genug hat. Zwar gehört Shopping mit der kompletten Familie an Wochenenden in den Super- und Hypermärkten schon zu den tschechischen Nationalsportarten; aber die täglichen Einkäufe machen die meisten denn doch lieber in kleinen Läden.

Derzeit werden gleich neun frühere Industriegelände in Prag für die Rekultivierung und den Bau kleiner Wohnsiedlungen ausgewiesen. Vier davon auf dem Gelände nicht mehr genutzter Güterbahnhöfe. Dort soll jedoch nicht alles plattgemacht werden. Nach Bürgerentscheiden werden die alten Gebäude erhalten und etwa als Kulturzentren genutzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2014)

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