Die stille Emanzipation der saudischen Frauen

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Es hat sich etwas aufgeweicht im rigiden islamistischen System Saudiarabiens. Frauen drängen auf den Arbeitsmarkt. Das verändert die Gesellschaft schleichend. Doch immer noch stehen Frauen unter männlicher Vormundschaft.

Riad. Männer und Frauen sollen das glitzernde Panorama-Einkaufszentrum in Riad getrennt betreten. So steht es groß geschrieben an den separierten Eingangstoren aus Glas. Doch keiner hält sich daran. Die Schilder sind absurd. Denn in der Shopping Mall schlendern Männer und Frauen dann doch gemeinsam über polierte Flure an den Luxusgeschäften vorbei. In der schönen Konsumwelt, zwischen Desigual, Prada und Swarovski, löst sich die Geschlechtertrennung auf und auch so manche Kleidervorschrift.

Die meisten saudiarabischen Frauen sehen die Welt durch den Sehschlitz ihrer Nikabs. Doch im Einkaufstempel verrutschen die Kopftücher bisweilen, und einige Mutige lassen ihr Haar ganz unbedeckt. Mode- und selbstbewusst, so zeigen sich die neuen Frauen von Riad, aber man muss schon genau hinsehen, auf die schicken bunten Turnschuhe etwa, die unter den schwarzen Abayas hervorlugen.

In Riad, der trostlos staubigen, von Autobahnen durchzogenen Hauptstadt dieses bigotten Staats, ist ein stiller Umbruch im Gang. Frauen sind sichtbarer geworden im öffentlichen Leben. Seit 2012 dürfen sie auch als Verkäuferinnen arbeiten. Früher war auch das Männersache im wahhabitischen Königreich, sogar in Unterwäscheabteilungen. Gastarbeiter von den Philippinen schoben Dessous und BHs über den Schalter. Dagegen regte sich Widerstand, das ließ sich auch sittlich verdammen im Land der muslimischen Puritaner. Und so entstand eine Lücke im System, die sich immer weiter ausdehnt.

„Frauen haben keine Rechte“

Mittlerweile verkaufen Frauen auch Schuhe, Kleider, Parfums, Kosmetika, sitzen an Supermarktkassen. Der saudiarabische Arbeitsmarkt ist weiblicher geworden. 2011, so heißt es, arbeiteten gerade einmal 70.000 saudiarabische Frauen. Inzwischen hat eine halbe Million die Chance ergriffen, ihr eigenes Geld zu verdienen. Das macht sie unabhängig, das verändert die Gesellschaft.

Drei Frauen sitzen in einem gediegenen Salon auf cremefarbenen Fauteuils: eine junge Autorin, eine Professorin und eine Managerin. Sie haben ihre Abayas abgelegt. Sie reden offen, sie streiten. Und sie wollen lieber anonym bleiben. Es kann ungemütlich werden, wenn man sich zu weit hinauslehnt.

König Abdullah war ein Förderer der Frauen. Er ließ den Arbeitsmarkt und die Universitäten öffnen, schuf Kindergärten. Er boxte auch durch, dass 30 der 150 Sitze in der Schura, dem saudischen Scheinparlament, für Frauen reserviert sind. Ein Zeichen für die Aufwertung der Frau in dem erzkonservativen Männerparadies. Doch Abdullah ist seit Jahresbeginn begraben.

Der neue König Salman hat gleich nach seinem Amtsantritt die einzige Frau im Kabinett entfernt, die Vize-Bildungsministerin. Das hatte Signalwirkung.

„Es herrscht große Angst. Viele Aktivistinnen sind verhaftet worden. Seit Abdullah krank wurde, hat sich die Situation verschärft“, sagt die junge Autorin in perfektem Englisch. Sie mag sich mit den Errungenschaften der vergangenen Jahre nicht zufriedengeben, sie fordert mehr: ein Ende des männlichen Vormundschaftssystems. Immer noch dürfen sich Frauen ohne Einwilligung ihres Vaters, Ehemanns, Bruders oder Onkels nicht frei bewegen. Sogar wenn sie sich um einen Job oder Studienplatz bewerben, ist die Zustimmung eines männlichen „Wächters“ nötig. „Frauen haben hier keine Rechte“, platzt es aus der Professorin heraus.

Die Managerin schüttelt den Kopf. Sie sieht alles nicht so dramatisch. „Frauen haben es auch anderswo schwer. Glasdecken und Diskriminierung gibt es doch überall auf der Welt“, beschwichtigt die Wirtschaftschefin. Sie ist die Schwarzmalerei und die ewig gleichen westlichen Journalistengeschichten leid. „Schaut doch, welche Erfolge wir haben“, sagt sie.

Längst studieren mehr Frauen als Männer. Und sie drängen verstärkt auch in Berufe außerhalb des Staatsdienstes, werden Ärztinnen, Unternehmerinnen oder gar Pilotinnen, heuern in Supermärkten oder Büros an. Sie wollen nicht mehr auf das Wohlwollen der Männer angewiesen sein. Die Scheidungsrate steigt. Auch wenn es schwierig bleibt für Frauen, eine Trennung zu erwirken. Ehebruch übrigens kann in Saudiarabien mit der Todesstrafe geahndet werden.

Man müsse die kulturellen Gegebenheiten berücksichtigen, sagt die Managerin. Die Rolle des Mannes sei in Saudiarabien nun einmal traditionell stärker ausgeprägt als anderswo. Das will die Professorin nicht als Ausrede akzeptieren. Das bringt sie auf die Palme. Vor 25 Jahren schon demonstrierten Frauen in Riad dafür, Autos lenken zu dürfen. Es ist bis heute nicht erlaubt. Das gibt es in keinem anderen Land der Welt. „Sogar der IS lässt Frauen ans Steuer“, merkt die junge Autorin sarkastisch an. Beide rätseln, warum die Regierung in dieser Randfrage stets dem konservativen islamischen Klerus nachgibt. „Wahrscheinlich wollen sie die Barrieren möglichst lange hoch halten, damit Frauen keine wichtigeren politischen Forderungen stellen“, vermutet die Professorin.

Angst vor der Religionspolizei

Die Mutawwa, die Religionspolizei, wacht darüber, dass sich Frauen in der Öffentlichkeit sittlich verhalten und verhüllen. Kontakte zum anderen Geschlecht sollen auf ein Minimum reduziert sein. Eine westliche Diplomatengattin erzählt, wie sie mit ihren Söhnen und ihrem Mann Essen gehen wollte und kein Platz im Familienbereich frei war, also wagten sie sich zusammen in die Männersektion. Dort aber musste die Frau stehen bleiben und ihrer Familie beim Speisen zuschauen. Sie durfte sich nicht setzen. Der Besitzer hatte Angst, die Mutawwa könnte vorbeikommen. Alltag in Riad. Und doch klammern sich die Frauen an die kleinen Fortschritte.

Stagnation werde die junge Generation nicht zulassen, vor allem nicht die Elite, die im Ausland studiert hat, hofft die Professorin. Junge Frauen vernetzen sich dank sozialer Medien mehr als früher. In keinem anderen Staat ist die Twitter-Dichte so hoch wie in Saudiarabien.

Die Managerin setzt auf die Kraft der Wirtschaft. „Die Segregation von Männern und Frauen wird über kurz oder lang verschwinden“, prophezeit sie und legt ihre Abaya an, bevor sie nach Hause geht.

Compliance-Hinweis:

Einen Teil der Reisekosten übernimmt das Außenministerium.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2015)

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