Umweltskandal: Trinkwasserkrise im Herzen der USA

(c) REUTERS (REBECCA COOK)
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Aus Kostengründen bezog die Stadt Flint ihr Wasser aus einem verschmutzten Fluss. Nach Bleivergiftungen und anderen Erkrankungen ist nun die Nationalgarde im Einsatz.

Washington. Was mehr als eineinhalb Jahre lang aus den Wasserhähnen und Hydranten der 100.000-Einwohner-Stadt Flint im US-Teilstaat Michigan floss, sah bisweilen wie naturtrüber Apfelsaft aus. Doch dieses orange-bräunliche Leitungswasser war hochgiftig. Binnen Kürze verdoppelte sich der Anteil der Kinder unter fünf Jahren mit lebenslangen Bleivergiftungen – und das, obwohl viele Einwohner angesichts der befremdlichen Farbe und des üblen Geruchs dieses Wasser ohnehin nicht tranken.

Diese Trinkwasserkrise hat nun den Einsatz der Nationalgarde von Michigan erforderlich gemacht. Seit Mittwoch gehen Dutzende Gardisten sowie Vertreter von Kirchen und anderen Organisationen von Tür zu Tür, um Wasser, Filter und Tests an die Bürger zu verteilen. Doch viele Kinder, die zumeist ohnehin aus armen Familien kommen, werden als Folge ihrer Bleivergiftung mit lebenslangen geistigen Behinderungen ringen. Und der wachsende Zorn der Bürger kristallisiert sich in zwei Fragen: Wieso hat Michigans Gouverneur, Rick Snyder, 19 Monate gebraucht, um auf diese Krise zu reagieren? Und wieso haben die örtlichen Behördenvertreter von Flint monatelang Warnungen vor der gemeingefährlichen Verschmutzung des Leitungswassers vertuscht?

Fatales Provisorium

Die Affäre begann harmlos. Im Frühjahr 2014 stellte Flint die Trinkwasserversorgung zwecks Geldersparnis um. Statt wie bisher an die Wasserwerke von Detroit angeschlossen zu sein, wandte man sich dem regionalen Wasserversorgungsnetzwerk der Karegnondi Water Authority zu. Dieses Wasser kommt aus dem Lake Huron, doch weil es noch keine Rohrleitung von dort nach Flint gab, bezog man als Übergangslösung Wasser aus dem eigenen Flint River.

Dieses Provisorium sollte sich als fatal erweisen. Denn das Wasser dieses Flusses enthält hohe Konzentrationen von Chloriden. Und die lösten rasch große Mengen an Blei aus den Verbindungsstücken alter Kupferleitungen. Rasch wurden die US-weiten Richtwerte für den Bleigehalt von Trinkwasser überschritten. Und ebenso rasch klagten zahlreiche Einwohner über Hautausschläge, Kopfschmerzen und Übelkeit. Eine örtliche Fabrik des Autoherstellers General Motors hörte auf, dieses Leitungswasser zu verwenden, weil es die Autoteile so schnell zum Rosten brachte.

Diese Symptome ließen sich bald auf die Bleibelastung zurückführen, und ein Jahr später räumte eine umfangreiche Untersuchung durch Experten der Universität Virginia Tech alle Zweifel aus. Und spätestens hier beginnt die Frage nach der politischen Verantwortung. Denn es dauerte bis zum 1. Oktober vergangenen Jahres, ehe die örtlichen Gesundheitsbehörden den Notstand ausriefen. Tags darauf ordnete der Gouverneur den Kauf von Filtern an, eine Woche später befahl er, dass Flint sein Wasser wieder von Detroit bezieht. Doch als die Fakten bereits auf dem Tisch lagen, beschwichtigten die Behörden die Bürger. Sie müssten sich keine Sorgen machen, sagte Behördensprecher Brad Wurfel – dessen Frau, Sara, damals die Pressesprecherin des Gouverneurs war.

Nun auch Legionärskrankheit

Nun prüfen Justizministerium und Bundesumweltamt. Und während die Gardisten Wasser verteilen, trifft Flint die nächste Hiobsbotschaft: Von Juni 2014 bis Oktober 2015 erkrankten 87 Bewohner an der Legionärskrankheit, zehn starben. Diese schwere Form von Lungenentzündung wird durch schlechtes Wasser übertragen. Die Behörden untersuchen einen Zusammenhang mit dem Flint River.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2016)

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