"Wüsste nicht, wie ich aus Houston rauskommen würde"

Der Ausblick vom Market Square Tower, in dem Clemens Dürrschmid wohnt.
Der Ausblick vom Market Square Tower, in dem Clemens Dürrschmid wohnt.(c) Clemens Dürrschmid
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Ein Österreicher berichtet der "Presse" von der aktuellen Situation in der von Sturmtief "Harvey" überfluteten US-Metropole Houston. Beim Essen heißt es derzeit "kreativ sein".

"Harvey" ist mit Windgeschwindigkeiten von über 200 Kilometern in der Stunde der heftigste Sturm in Texas seit 1961. Doch der Wind blieb in der Metropole Houston nur eine Randnotiz. Dort wird in dieser Woche wohl so viel Regen fallen wie sonst in einem gesamten Jahr. Clemens Dürrschmid hat die Naturgewalten aus nächster Nähe miterlebt. Der 31-jährige Klagenfurter arbeitet seit 2012 in den USA. Als ihn die “Presse” Montagvormittag Ortszeit am Telefon erreicht, ist er in seiner Wohnung im Zentrum der texanischen Metropole im 22. Stock. “Der Regen kommt gerade mit einem Winkel von 45 Grad daher, auf der Rückseite des Gebäudes steht das Wasser etwa 30 Zentimeter hoch. Gegenüber gestern hat sich die Lage bei uns in Downtown Houston ein bisschen verbessert, aber die Lage in der Region ist katastrophal”, beschreibt Dürrschmid die aktuelle Situation.

Mit den anhaltenden Regenfällen rechneten die wenigsten. Am Freitag wartete man noch angespannt auf “Harvey”. Viele Büros und Geschäfte hätten zu Mittag Schluss gemacht. “Wir haben am Donnerstag versucht, noch Lebensmittel zu kaufen. Die Regale waren schon ziemlich leer. Am Freitag haben wir es dann gar nicht mehr versucht”, sagt Dürrschmid, der am Baylor College of Medicine in Houston arbeitet. Während der Hurrikan mit voller Wucht auf die Küstengebiete traf, blieb es in Houston noch recht ruhig. “Wir waren am Samstagabend noch etwas essen, erst um 20 Uhr ist es dann losgegangen. Es hat dann die ganze Nacht heftig durchgeregnet. Wir sind hier nicht so sehr vom Sturm betroffen, sondern nur von den unglaublichen Wassermassen.” Binnen 24 Stunden waren in Houston 60 Zentimeter Regen gefallen, weitere 50 Zentimeter könnten laut Vorhersagen folgen. In der Stadt leben rund 2,3 Millionen Menschen, in der Metropolregion mehr als sechs Millionen.

Großstadt steht still

Experten der US-Streitkräfte kündigten an, Wasserspeicher in der Nähe von Houston abzulassen, um Druck von den Staudämmen zu nehmen. Das Wasser ergießt sich in den Buffalo Bayou, den Haupt-Fluss in Houston. Nach Angaben der Stromversorger waren am Montagmorgen im Großraum Houston mehr als 260.000 Kunden ohne Elektrizität. Im Stadtzentrum ist die Situation entspannter: “Wir haben Strom und Gas, das Internet funktioniert. Nur das Wasser ist gestern ab und zu ausgefallen”, berichtet Dürrschmid. Nur beim Essen müsse er ein wenig kreativ sein. “Aber ich habe genug Wasser eingekauft und die Badewanne ist voll mit Wasser” - falls die Versorgung eben doch noch einmal ausfallen sollte. Das öffentliche Leben ist in der Stadt gänzlich zum Erliegen gekommen. Schulen, Flughäfen und Bürogebäude blieben am Montag geschlossen. “Alle paar Stunden kommt eine Regenfront durch, es gibt keinen Grund zum Aufatmen”, sagt Dürrschmid mit Blick auf die Wetterprognosen der lokalen TV-Sender.

Viele Teile von Houston sind überschemmt.
Viele Teile von Houston sind überschemmt.(c) Clemens Dürrschmid

Houston ist sehr flach und von mehreren Flüssen durchzogen. In manchen Wohngebieten mit vielen Einfamilienhäusern sei die Lage besonders schlimm. Die Menschen werden in Community Centers, Kirchen und Schulen versorgt. Auch das große George R. Brown Convention Center dient als Notunterkunft für die mehr als 30.000 obdachlos gewordenen Menschen. “Wir würden gerne irgendetwas zur Unterstützung tun, aber wir sind gefangen in unserem Haus”, erzählt Dürrschmid. Flucht aus Houston sei ohnehin keine Option. “Ich wüsste nicht, wie ich rauskommen könnte, selbst wenn ich wollte”. Daher sei es als Privatperson in Houston auch fast unmöglich, einem der vielen Spendenaufrufe nach trockener Kleidung, Lebensmitteln und Hygieneartikeln nachzukommen.

Dürrschmid hält sich durch die lokalen Fernsehsender über die aktuelle Lage informiert - ergänzt durch Social-Media-Kanäle der Behörden. Durch sogenannte “Emergency Alerts” gibt es Anweisungen direkt auf die Handys der Betroffenen - oder auch die Bitte, nicht den Notruf 911 zu rufen, außer in absoluter Lebensgefahr. In Houston wurden innerhalb von 15 Stunden 56.000 Notrufe registriert - sieben Mal mehr als üblich. Die städtische Katastrophenschutzbehörde forderte die Einwohner auf, sich aufs Dach zu retten, wenn das oberste Stockwerk ihres Hauses nicht mehr sicher sei. Mehr als 2000 Menschen wurden bisher per Hubschrauber aus überfluteten Stadtvierteln gerettet.

Debatte um Evakuierung

Die Kritik am Houstoner Bürgermeister Sylvester Turner, dass Evakuierungen zu spät veranlasst worden seien, teilt Dürrschmid nicht. “Die Gegenden, wo der Hurrikan direkt auf die Küste getroffen ist, wurde ja evakuiert. Die Region Houston hat sechs Millionen Einwohnern und es war vom Wetterbericht her nicht klar, wie genau sich der Sturm bewegen würde.” Diese Menschen alle in Bewegung zu setzen, ohne zu wissen, welche Gebiete überschwemmt werden würden, wäre gefährlich gewesen. Eine Frau starb, als sie sich in den Fluten aus ihrem Auto retten wollte. Mindestens drei Menschen kamen bisher ums Leben. Meldungen über weitere Todesfälle wurde zunächst nicht offiziell bestätigt.

Licht inmitten der Katastrophe ist der Zusammenhalt der Menschen. “Jeder, der ein Boot hat, versucht, es in die Nähe des Wassers zu bringen und Menschen zu retten.” Auch aus dem benachbarten US-Bundesstaat Louisiana seien Menschen mit Booten unterwegs, um zu helfen. Doch dort spitzt sich die Lage ebenfalls zu. Auch für Louisiana rief US-Präsident Donald Trump am Montag den Katastrophenfall aus.

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