Das große Aufräumen hat begonnen

Die Betroffenen in Texas schwanken zwischen Gelassenheit und Fassungslosigkeit.
Die Betroffenen in Texas schwanken zwischen Gelassenheit und Fassungslosigkeit.(c) APA/AFP/EMILY KASK
  • Drucken

Der Präsident wird heute zum zweiten Mal in dieser Woche ins Katastrophengebiet nach Texas reisen. Tausende Bewohner stehen vor den Trümmern ihrer Häuser und ihrer Existenz.

Wien/Houston. Nach und nach kehren die Bewohner, die sich vor dem Hurrikan Harvey in Sicherheit gebracht haben, zurück in ihre Häuser im Großraum von Houston, und viele brechen beim Anblick der Schäden in Tränen aus. „Das ist nicht mehr mein Heim“, saget Anita Williams, die im Konferenzzentrum der Metropole Zuflucht gesucht hatte. Die Tiefkühltruhe habe sich plötzlich im Schlafzimmer wiedergefunden, schilderte sie gegenüber Reuters.

Im Garten der Cades sammelten sich Holzscheite, dafür war das Postkasten verschwunden und das Garagentor aus den Angeln gerissen. „Ich fühle mich traurig und leer“, erzählte Larry Cade der „New York Times“. „Es ist niederschmetterend“, sagte seine Frau Suzette. Alles sei auf den Kopf gestellt, ein einziges Durcheinander. Das Paar, das sich mit fünf seiner Enkeln während des Wirbelsturms in einem Hotel einquartiert hatte, war gekommen, um Nachschau zu halten. Andere kehrten zurück, um wertvolle Souvenirs und Hochzeitsfotos zu holen – und vielfach um rasch wieder zu verschwinden.

In und um Houston haben nach den Tagen der Sintflut die Aufräumarbeiten begonnen, und allmählich zeigen sich die Schäden, die sich unter der braunen Brühe verbergen. Die Ratingagentur Moodys schätzt sie auf 50 bis 75 Milliarden Dollar. Andere Berechnungen belaufen sich auf 100 Milliarden Dollar und mehr. 70 Prozent der Hausbesitzer sind ohne Sturmversicherung, viele stehen vor den Trümmern ihrer Existenz. Es trifft Arme wie Reiche, Menschen mit einfachen Holzhäusern und solche mit protzigen Villen, Bauarbeiter mit Latino-Wurzeln und Ärzte asiatischer Abstammung.

Greg Abbott, der republikanische Gouverneur, sprach von 125 Milliarden Dollar und davon, dass der Wiederaufbau länger und schwieriger sein könnte als beim Hurrikan Katrina 2005. Präsident Donald Trump kündigte eine Spende von einer Million Dollar aus seinem Privatvermögen an. Zudem stellte er rund sechs Milliarden Dollar aus Bundesmitteln in Aussicht, die indes bei Weitem nicht ausreichen werden.

Vereinzelt spielten sich noch dramatische Rettungsszenen ab, wie in der Stadt Beaumont im Südosten von Texas, wo das Militär mit Black-Hawk-Hubschraubern Patienten und das Personal eines Spitals ins Sicherheit brachten. Hier war nach schweren Regenfällen die Wasserversorgung zusammengebrochen. „Die Stadt ist eine Insel“, erklärte die Bürgermeisterin.

Das Sturmtief ist inzwischen ostwärts weitergezogen, während sich über der Karibik ein neuer Hurrikan zusammenbraut. Wo „Irma“ an Land gehen wird, ist ungewiss. Im Süden von Texas wächst derweil nicht nur die Angst vor Feuer und Explosionen, wie in der Chemiefabrik in Crosby, sondern auch vor Bakterien und Pestiziden, die im Brackwasser treiben. „Die Gefahr lauert unter Wasser“, warnt die Umweltschutzbehörde.

Packt Trump mit an?

In der Zwischenzeit rückt das Krisenmanagement der Regierung in den Vordergrund. Vizepräsident Mike Pence stattete dem Krisengebiet einen Besuch ab, salopp in Jeans und Jeanshemd. Und der Ex-Gouverneur legte beim Aufräumen gleich mit Hand an und setzte so den Maßstab für Trump, der sich heute noch einmal zu einem Lokalaugenschein nach Texas und Louisiana aufmachen wird. Das Weiße Haus kündigte an, er werde sich in Houston und lake Charles ein Bild von der Lage machen.

Die Katastrophe zwingt Republikaner und Demokraten im Kongress zur Zusammenarbeit. Die Debatte um die Anhebung des Schuldenlimits im September, ansonsten eine Streitfrage, stellt sich nicht. „Sie brauchen das Geld für den Wiederaufbau der Golfküste in Texas, nicht zum Bau der Mauer in Texas“, sagte ein republikanischer Budgetexperte mit süffisantem Unterton. Und John Cornyn und Ted Cruz – jene beiden republikanischen Senatoren aus Texas, die 2012 gegen die Nothilfe für die Opfer des Hurrikans Sandy in New York und New Jersey stimmten – werden die Sondermittel diesmal gewiss nicht ablehnen, sofern sie ihre Wiederwahl nicht gefährden wollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

In den Straßen von Jacksonville.
Weltjournal

Irma: Jacksonville steht weiter unter Wasser

Die Großstadt Jacksonville im Nordosten Floridas steht nach dem Rekordsturm Irma weiter unter Wasser. Die Zahl der Toten in den USA ist auf 13 gestiegen.
In Jacksonville stehen immer noch Straßen unter Wasser.
Home

USA: 15 Millionen Menschen nach Sturm "Irma" ohne Strom

Auch wenn "Irma" vom Hurrican zum Tropensturm abgestuft wurde: Er hinterließ eine Spur der Zerstörung. Frankreich richtete die "größte Luftbrücke der Nachkriegszeit" ein.
 Inselbesitzer Richard Branson
Weltjournal

Hurrican "Irma" hat auch Privatinsel von Richard Branson verwüstet

Necker Island gehört zu den Britischen Jungferninseln in der Karibik, die von Hurrican "Irma" am Wochenende schwer getroffen worden waren. Inselbesitzer Richard Branson meldet schwere Schäden.
The Tampa skyline is seen in the background as local residents take photographs after walking into Hillsborough Bay ahead of Hurricane Irma in Tampa
Weltjournal

Wirbelsturm Irma: „Wir sind noch einmal davongekommen“

Teile des US-Staats Florida kämpfen mit Sturmfluten. Die Schäden sind vielerorts geringer als befürchtet.
U.S. President Donald Trump departs Washington aboard Air Force One
Weltjournal

Soforthilfe: Weniger Steuer für Sturmopfer?

Präsident Trump will Betroffenen rasch helfen. Die Stürme Harvey und Irma wirbeln die amerikanische Politik durcheinander.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.