Florida: Ausharren im Hurrikan

Die Leere vor dem Sturm. Mehrere Millionen Bürger Floridas haben sich vor dem Sturm nach Norden abgesetzt. Nun sind viele Straßen, hier nahe Miami, verwaist.
Die Leere vor dem Sturm. Mehrere Millionen Bürger Floridas haben sich vor dem Sturm nach Norden abgesetzt. Nun sind viele Straßen, hier nahe Miami, verwaist.(c) REUTERS (CARLOS BARRIA)
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Mit Windböen von mehr als 210 km/h prallte Irma als Wirbelsturm der zweitstärksten Kategorie auf den Süden der Halbinsel. Trotzdem wollte nicht jeder fliehen, es gab hohe Wellen, erste Tote.

In der Nacht zum Sonntag hörte John Hines, wie die Tür seines Hauses knarrte und wackelte. „Hört sich an, als ob jemand anklopfte“, sagte Hines dem Sender CNN. Draußen in Key West an der Südspitze der Halbinsel Florida machten sich erste Vorboten des Hurrikans Irma bemerkbar, der in den vergangenen Tagen Teile der Karibik verwüstet hatte und nun das Festland in Angriff nahm. Die Lage in der Gegend sei „beschissen“, sagte er, doch ihm war klar: „Es wird noch schlimmer.“

Hines gehört zu einer Gruppe von besonders sturen Bewohnern, die sich auch nach den Evakuierungsbefehlen der Behörden für mehr als 6,5 Millionen Menschen – rund 20 Prozent der Einwohner – weigern, ihre Häuser zu verlassen. Genaue Zahlen über freiwillige Zurückbleiber gibt es nicht, doch Medienberichte und Mitteilungen der Behörden lassen allein in den gefährdetsten Regionen an der Süd- und Westküste Floridas auf Tausende schließen, die sich mit Nahrung, Getränken, Batterien und Treibstoff eingedeckt und Türen und Fenster vernagelt haben. Nicht alle haben Keller, aber dafür Galgenhumor: „Ich glaub, ich sollte das ganze Bier im Kühlschrank trinken, bevor der Strom ausfällt“, schrieb einer auf Facebook.

Im Zusammenhang mit dem Hurrikan "Irma" sind in Florida mindestens drei Menschen bereits ums Leben gekommen. Es handle sich um zwei Männer und eine Frau, die am Samstag und Sonntag bei durch Sturmböen und starke Regenfälle verursachten Verkehrsunfällen ums Leben gekommen seien, teilten die Behörden am Sonntag mit.

Tatsächlich fiel am Sonntagvormittag (Ortszeit, Sonntagnachmittag MESZ), als Irma über den Keys, der flachen Inselkette dicht vor der Südspitze Floridas, als Hurrikan der Stufe 4 (Windgeschwindigkeiten von 209 bis 251 km/h) anbrandete, gleich einmal der Strom für mehr als eine Million Menschen aus. Irma war immerhin mit anhaltenden Winden von etwa 210 bis 215 km/h schwächer als erwartet und am Rand der Kategorie 3, allerdings sind es diesmal abnorm intensive Regenfälle, die er mit sich bringt und angesichts des wasserreichen Bodens Floridas für weite Überflutungen sorgen dürften. Und weil die Behörden am Sonntagabend (MESZ) von bis zu viereinhalb Meter hohen Flutwellen an Floridas Südküste und ersten Todesopfern sprachen, dürften sich Keller als Zufluchtsorte unter Umständen zu nassen Fallen verwandeln.

Zug bis in den Norden der Halbinsel

Der Sturm, dessen Wirbel ganz Florida überdecken wird und der zuletzt mit 15 km/h nordwärts wanderte, wird mit seinem Zentrum an bzw. vor der Westküste Floridas hinauffahren. Die erste größere Stadt dort, Marco Island (rund 18.000 Einwohner), dürfte er gegen 21 Uhr MESZ mit Wucht erfassen, etwa zur selben Zeit auch die weitaus größere Metropole Miami an der Ostküste.

Irma dürfte laut US-Wetterbehörde NOAA am Montag den Norden des Bundesstaats erreicht haben und sich erst an den Grenzen zu Georgia und Alabama abschwächen. Gouverneur Rick Scott erwartet eine Katastrophe, die die Zerstörungen des Wirbelsturms Andrew im Jahr 1992 übertreffen könnte. Damals wurden mehr als 60.000 Häuser dem Erdboden gleichgemacht, allerdings weitgehend nur im Süden der Halbinsel.

Bilder aus Miami und anderen Städten zeigten am Sonntag windgepeitschte und völlig verlassene Straßen. Michael Brennan von NOAA sprach von einem „sehr gefährlichen Tag“ für den Bundesstaat, dessen Verlauf aufgrund der Zeitverschiebung und des hiesigen Redaktionsschlusses nicht komplett verfolgt werden konnte. Die Florida Keys jedenfalls könnten vorerst zeitweise komplett im Meer versunken sein.

In Miami und anderen Orten wurde ein nächtliches Ausgangsverbot erlassen, um Plünderer abzuschrecken. Baukräne drehten sich im nahenden Sturm. Wenn es gefährlich werde, könnten die Daheimgebliebenen zwar Notrufnummern wählen, sagt Sheriff Bob Gualtieri in Pinellas bei Tampa. Feuerwehren, Polizei und Nationalgarde sind vor Ort verblieben. „Aber wir werden zu den Leuten, die zurückgeblieben sind, nicht kommen“, so der Sheriff trocken.

Hurrikan José ist abgedreht

Auch er wisse nicht, wohin er überhaupt fliehen sollte, sagt der Anwalt Carl Roberts. Also blieb er in seiner Wohnung im 17. Stock eines Hochhauses in Redington Shores bei Tampa an der Westküste Floridas am Golf von Mexiko. Roberts würde noch am Montagmorgen im Zentrum des Sturms sitzen. Er habe sich mit Wasser und chinesischem Essen versorgt, sagte er der Agentur AP.

Ein Hurrikan namens José, der sich am Samstag der Karibik genähert hatte und denselben Kurs wie Irma nehmen hätte können, drehte unterdessen nach Norden ab. Er dürfte sich bis heute großteils aufgelöst haben.

PROGNOSE

Irmas Zentrum soll bis Montagnachmittag den Norden Floridas erreicht haben, worauf sich der Sturm im Grenzraum zu Alabama und Georgia bzw. über diesen Staaten auflösen dürfte. Die Windgeschwindigkeiten waren mit 215 km/h am Sonntagabend zwar niedriger als befürchtet, doch sind die Wassermassen, die Irma aus dem Meer gesaugt hat und nun über Land ausschüttet, diesmal unverhältnismäßig groß, es drohen gigantische Fluten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2017)

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