Italien: Aufstand der verzweifelten Arbeitssklaven

(c) AP (Adriana Sapone)
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In Kalabrien lieferten sich Illegale Straßenkämpfe mit der Polizei. Rund 200 Afrikaner zogen durch Rosarno, zündeten Autos an und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei.

Rom. Sie hausen in den Betonskeletten stillgelegter Fabriken, in verlassenen Häusern oder in Zelten, oft ohne Strom und ohne Wasser – und fast immer ohne Papiere. Tagsüber schuften sie im Schichtbetrieb für einen Hungerlohn von 20 Euro am Tag, ernten Oliven, Tomaten und Orangen. Etwa ein Viertel davon müssen sie abgeben, als Schutzgeld an die „caporali“. Nachts werden Verzweiflung und Heimatlosigkeit mit Alkohol und Drogen betäubt.

Etwa 2000 „Clandestini“, „Heimliche“, wie die Italiener sagen, leben allein in Rosarno, einer Kleinstadt in Kalabrien, 70 Kilometer nördlich von Reggio Calabria. Von den rund 15.000 Bewohnern werden sie allenfalls geduldet, doch man braucht die Senegalesen und Kongolesen, Marokkaner und Ägypter, die jedes Jahr im Herbst kommen. In dem fruchtbaren Schwemmland an der Küste gedeihen Obst und Gemüse, und ohne die billigen Arbeitskräfte aus Afrika würde die Ernte verrotten.

Weniger Bootsflüchtlinge

In der Nacht auf Freitag explodierte der Funke, nicht zum ersten Mal. Rund 200 Afrikaner zogen durch Rosarno, zündeten Autos an und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Mindestens 20 Menschen wurden verletzt. Zuvor war wahrscheinlich von einem fahrenden Auto aus auf einige der Wanderarbeiter geschossen worden, die auf dem Weg nach Hause waren.

Auch gestern, Freitag, gingen die Proteste weiter, und in dem Städtchen herrschte der Ausnahmezustand. Viele Bewohner trauten sich nicht mehr aus dem Haus, Geschäfte und Schulen blieben geschlossen, während Hunderte von aufgebrachten Demonstranten vor dem Rathaus ein Gespräch mit dem Präfekten verlangten. „Wir sind keine Tiere“, skandierten sie und warfen den Italienern Rassismus vor.

„Diese Revolte ist das Ergebnis eines unerträglichen Klimas in Rosarno, wo Migranten ausgenutzt und diskriminiert werden“, ist der Präsident der Region Kalabrien, Agazio Loiero, überzeugt. Er gehört zur oppositionellen Demokratischen Partei. Schon einmal, vor gut einem Jahr, war es dort zu Ausschreitungen gekommen, doch an den Lebensbedingungen der Wanderarbeiter hat sich kaum etwas geändert.

Seitdem in Rom wieder eine Berlusconi-Regierung im Amt ist, wurden die Einwanderungsgesetze in Italien drastisch verschärft, und vor allem die Lega Nord, der kleinere Koalitionspartner im Kabinett, hetzt gegen die „Excommunitari“, die jedes Jahr zu Zehntausenden den Weg über das Mittelmeer suchen.

Von der Mafia ausgenutzt

Im Vorjahr nahm die Zahl der Bootsflüchtlinge jedoch rapide ab, nachdem die italienische Regierung ein Freundschaftsabkommen mit Libyen geschlossen hatte. Im Gegenzug für umfangreiche italienische Infrastrukturmaßnahmen verpflichtete sich Libyen, die eigene Küste stärker zu kontrollieren. Von dort trat ein Großteil der illegalen Flüchtlinge, die versuchen, über Italien nach Europa einzureisen, die gefährliche Überfahrt an.

In Orten wie Rosarno allerdings ist das Problem komplexer, das weiß auch Innenminister Roberto Maroni von der Lega Nord. „In all diesen Jahren ist eine illegale Migration toleriert worden, die von der organisierten Kriminalität ausgenutzt worden ist und zugleich für ethnische Konflikte sorgt“, sagte er gestern. Tatsächlich beschäftigt die 'Ndrangheta, die kalabresische Mafia, die bettelarmen Habenichtse nur allzu gern, genauso wie die Camorra in Kampanien. Vermutlich hat sie aber auch die Schüsse auf die Afrikaner abgegeben, als Strafaktion gegen die, die sich weigern, Schutzgelder zu entrichten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2010)

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