Drama im Südatlantik. Eine Woche nach Verschwinden des argentinischen U-Boots „San Juan“ haben sich weiter alle Spuren zerschlagen. Die Luft im Inneren dürfte heute ausgehen.
Buenos Aires. Auf der Marinebasis in der argentinischen Hafenstadt Mar del Plata blicken die Familienangehörigen der 44 vermissten U-Boot-Fahrer auf einen grauen Ozean aus Ungewissheit. Wo ist die ARA San Juan? Liegt sie auf dem Kontinentalschelf in 70 bis 200, 300 Metern Tiefe? Oder wurde das (seit Indienststellung) 32 Jahre alte U-Boot in die Tiefsee östlich davon abgetrieben, deren Druckverhältnisse weder Material noch Mensch standhalten können?
Haben die 43 Männer sowie Südamerikas erste U-Boot-Offizierin, María Eliana Krawczyk, genügend Sauerstoff, Wasser und Lebensmittel? Was kann die Havarie ausgelöst haben? Warum hat die Besatzung keine der im Notfallprotokoll vorgeschriebenen Maßnahmen eingeleitet? Und, die bangste Frage: Sind die 44 noch am Leben?
„Wir sind in der kritischen Phase“, sagte Mittwoch früh Marinesprecher Enrique Balbi, der jahrelang auf der San Juan Dienst getan hatte. Das in Deutschland gebaute Boot der „TR 1700“-Klasse war 1985 in Dienst gestellt worden und wurde 2008 bis 2014 runderneuert. Dafür musste sein Rumpf geteilt werden, um die alten MTU-Dieselmotoren gegen baugleiche neuwertige zu wechseln.
Womöglich folgenschwerer Umbau
Ebenfalls wurden die 960 Batterien ausgetauscht, die den Boden des Gefährtes füllen. An der Zerlegung beteiligte Ingenieure beteuern, dass die heiklen Schweißarbeiten von den besten Schiffsbauern des Landes gemacht worden seien, unter Kontrolle deutscher Ingenieure. Aber Mittwoch wurde bekannt, dass das zuvor in Brasilien überholte Schwester-U-Boot der San Juan, die Santa Cruz, 2008 fast gesunken wäre, weil an der Schweißnaht Wasser eingedrungen war.
Argentiniens Medien berichten rund um die Uhr über die Suche im Südatlantik, an der sich zwölf Länder inklusive europäischer beteiligen. Besonders wichtig ist die Spitzentechnologie der USA. Im patagonischen Hafen Comodoro Rivadavia, dessen Klinik eine Reihe von Krankenzimmern für die Besatzung der San Juan reserviert hat, legten zwei Spezialschiffe (eines davon aus Norwegen) ab, die der französische Ölkonzern Total nutzt, um seine Ölplattformen im Sankt-Georgs-Golf vor Patagonien instandzuhalten. Nun bringen sie Spezialisten der U.S. Navy in die Suchzone. Sie haben eine Rettungsglocke sowie ein Mini-U-Boot dabei.
Am Dienstagabend kursierte das Gerücht, ein US-Flugzeug habe einen „Wärmefleck“ in 70 Metern Tiefe ausgemacht. Aber bis Redaktionsschluss am Mittwoch konnte die argentinische Regierung nicht bestätigen, dass es sich um das U-Boot handelte. Während sich die TV-Sender mühen, die Hoffnung – und damit ihre Einschaltquoten – am Leben zu halten, dominiert unter Fachleuten Pessimismus. Dieser gründet in all dem, was nicht geschah, seitdem vor acht Tagen der Kontakt jäh abgebrochen war.
Schlug das Unheil sehr schnell zu?
Wie in allen U-Boot-Flotten des Planeten existiert auch in Argentinien ein Standard-Protokoll für havarierte Boote. In seiner vorletzten Kommunikation mit dem Kommando in Mar del Plata hatte Kapitän Pedro Martín Fernández einen Kurzschluss gemeldet, der entstanden sei, weil Wasser durch den Schnorchel eindrang. Im letzten Gespräch am Mittwochmorgen gab der Bootsführer an, das Problem sei behoben. Aber nachdem der Kontakt abgebrochen war, tauchte das Boot nicht auf, wie es für den Fall eines Zusammenbruchs der Energieversorgung vorgeschrieben ist. Niemand meldete sich über die zwei Satellitentelefone, auch die Notfunkbojen wurden nicht ausgesetzt. Zwei davon hatte die San Juan an Bord, beide fast neu. Auch die Rettungsboote blieben unbenutzt, obwohl die Crew sie noch in bis zu 60 Metern Tiefe hätte aktivieren können. Alle Besatzungsmitglieder hatten neue Spezialanzüge, in deren Schutz sie aus dieser Tiefe hätten aufsteigen können.
Weil all dies ausblieb, fürchten viele, dass ein größerer Schaden aufgetreten sein muss, der den Offizieren keine Reaktionsmöglichkeit gab und die Besatzung womöglich schnell handlungsunfähig machte. Ein Brand der Batterien mit starker Ausgasung von Giften oder Wasserstoff etwa; sie waren offenbar eine Schwachstelle dieser zwei nur von Argentinien in Dienst gestellten deutschen Boote. Oder war etwas mit einer Schweißnaht? Niemand weiß Genaues.
Während 4000 Helfer nun allen Zweifeln und Naturgewalten trotzen, um ein Wunder zu vollbringen, sind die Aussichten für die 44 Verschollenen noch trüber als der stürmische Südatlantik, der über Jahrhunderte auffallend viele Schiffe verschluckt oder an seinen Ufern zerschmettert hat.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2017)