„Aquarius“ nimmt Kurs auf Spanien

MV Aquarius (Archivbild) hilft trotz vielerlei Widerstände seit 2016 Migranten auf ihrem Weg von Libyen nach Europa.
MV Aquarius (Archivbild) hilft trotz vielerlei Widerstände seit 2016 Migranten auf ihrem Weg von Libyen nach Europa.(c) REUTERS (Tony Gentile)
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Das von deutschen und französischen NGOs geführte Rettungsschiff mit 629 Migranten an Bord durfte in Italien nicht anlegen und bekam Erlaubnis zum Anlaufen von Valencia.

Madrid/Rom/Valletta. Die sicheren Häfen waren nah. Doch nach der Weigerung Italiens, dem von französischen und deutschen NGOs betriebenen Seerettungsschiff MV „Aquarius“ das Anlegen zu erlauben, bereiteten sich die Mitarbeiter auf dem 77 Meter langen Schiff am Dienstagnachmittag auf eine mehrtägige Reise zum spanischen Hafen Valencia vor. Rund 700 Seemeilen (1300 Kilometer) sind es bis Valencia, wo Aquarius und zwei italienische Begleitschiffe Ende der Woche erwartet werden. Spaniens neue Regierung hatte den Hafen angeboten, „um eine humanitäre Katastrophe zu vermeiden“.

Die Hilfsorganisationen „Ärzte ohne Grenzen“ und „SOS Méditerranée“ kündigten an, dass ihr Schiff nun tatsächlich in Valencia anlegen werde. „Aquarius hat die Bestätigung bekommen. Der sichere Hafen ist Valencia“, meldete SOS Méditerranée per Twitter. Auf der Aquarius (Wassermann), die sich seit Sonntag zwischen Malta und Sizilien in internationalen Gewässern aufhielt und auf weitere Anweisungen wartete, befanden sich insgesamt 629 Migranten aus 20 Ländern. Darunter waren elf kleine Kinder, 123 Minderjährige ohne Begleitung und 80 Frauen, davon sieben Schwangere.

„Endlich einmal ,nein‘ sagen“

Die italienische Seenot-Einsatzzentrale IMRCC, welche die Rettung von Menschen zwischen der libyschen Küste und Italien koordiniert, hatte der Aquarius das Ansteuern italienischer Häfen verboten. Dahinter steht ein harter Anti-Zuwanderungs-Kurs der neuen römischen Regierung, die aus der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung und der fremdenfeindlichen, stark rechten Lega gebildet wird. Italiens Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini hatte angekündigt, dass er Italien nicht in „ein riesiges Flüchtlingslager verwandeln“ wolle und man diesmal endlich einmal „nein“ sage. Auch der Inselstaat Malta erlaubte ein Anlegen nicht, weil er mit der ganzen Aktion nichts zu tan habe.

Am Dienstagmorgen war das Schiff, das ursprünglich in den 1970ern in Deutschland als Fischereiwachschiff für die deutschen Behörden mit dem Namen „Meerkatze“ gebaut worden war, von der italienischen Küstenwache mit Trinkwasser und Nahrungspaketen für die Fahrt nach Spanien versorgt worden. Da die Aquarius völlig überfüllt war, sollten etwa 500 der 629 Migranten auf zwei andere Schiffe der Italiener mit Kurs auf Spanien umsteigen.

Unter Flagge von Gibraltar

Detail am Rande: Aquarius, war Ende der 2000er-Jahre ausgemustert und von einer deutschen Firma erworben worden, die das dieselelektrisch betriebene Schiff mit regulär etwa 30 Mann Besatzung zu einem Vermessungsschiff umbaute und unter der Flagge von Gibraltar registrieren ließ. Seit 2016 ist es im Mittelmeer für NGOs tätig, doch dass das Schiff unter Flagge der britischen Besitzung Gibraltar fährt, dürfte für Spanien etwas unangenehm sein: Immerhin ist Gibraltar, das 1704 von den Briten erobert wurde, ein Zankapfel zwischen Madrid und London.

„Die Menschen an Bord sind erschöpft“, berichtete am Dienstag David Beversluis, einer der Ärzte auf der Aquarius. Viele müssten ärztlich versorgt werden. Das Schiff hatte am Wochenende 229 Menschen aus dem Meer gefischt, die in Libyen mit untauglichen Booten losgefahren waren, mit der Absicht, im besten Fall geborgen und nach Europa gebracht zu werden. Weitere 400 hatte Aquarius auf Anweisung der Einsatzzentrale IMRCC von Schiffen der italienischen Küstenwacht und von Handelsschiffen übernommen.

Die Hilfsorganisationen hatten seit Sonntag vergeblich darauf bestanden, so schnell wie möglich einen nahen Hafen anlaufen zu dürfen, damit die Migranten dort betreut werden könnten. Die Ankündigung Spaniens von Montagnachmittag, die Menschen aufzunehmen, wurde von den Helfern als „wichtige Geste der Menschlichkeit“ begrüßt. Auch aus Korsika war zwischenzeitlich ein Angebot gekommen.

„Sieg! Erstes Ziel erreicht“

Italiens Innenminister Salvini hatte daraufhin getwittert: „Sieg! 629 Immigranten an Bord der Aquarius auf dem Weg nach Spanien. Erstes Ziel erreicht.“

Aloys Vimard, Koordinator von Ärzte ohne Grenzen an Bord der Aquarius, antwortete dem Innenminister mit den Worten: „Verzweifelten Menschen, die aus dem Meer gerettet wurden, die Aufnahme zu verweigern, kann man nicht als Sieg bezeichnen.“

Ärzte ohne Grenzen kritisierte, dass Italien immer höhere Hürden für die humanitäre Hilfe im Mittelmeer aufbaue: „Wir sind extrem besorgt darüber, wie schwierig es geworden ist, Menschen aus Seenot zu retten.“ Die Hilfsorganisation verwies darauf, dass sie ihre Rettungsaktionen auf dem Meer stets „in völliger Übereinstimmung mit dem internationalen Seerecht“ und in Koordination mit den jeweiligen staatlichen Behörden organisiert habe.

Zugleich rief die Organisation Europa auf, Lösungen zu finden, um Mittelmeerländern wie Italien zu helfen, wo in der Vergangenheit besonders viele Menschen mit Booten ankamen: 2017 etwa waren es rund 120.000 gewesen.

Seit der engen Zusammenarbeit Italiens mit der libyschen Küstenwache, die nach Möglichkeit viele Bootsmigranten wieder zurückbringt, sinken die Zahlen stark. Nach Angaben des UNHCR-Flüchtlingswerkes wurden seit Jänner 14.000 Migranten in Italien angetrieben; im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es 61.000. In Spanien steigen derweil die Zahlen steil an: Seit Jänner kamen 9000 Migranten übers Meer.

Spanien Außenminister Josep Borrell klagte, dass die von Migrantenschiffen angesteuerten Mittelmeerländer Griechenland, Italien und Spanien vom Rest Europas alleine gelassen würden. Er mahnte, dass der Ansturm auf Europa „eine europäische Aufgabe“ sei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2018)

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