Brückeneinsturz von Genua: Eine "vorhersehbare Tragödie"

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"Morandi wollte eine Technologie verwenden, die er patentiert hatte und die danach nicht mehr benutzt wurde", sagte Antonio Brencich. Diese Technologie habe "versagt".

Die Morandi-Brücke im norditalienischen Genua, bei deren Einsturz am Dienstag dutzende Menschen ums Leben kamen, ist schon lange umstritten. Die Ingenieurswebseite "ingegneri.info" nannte das Unglück am Mittwoch eine "vorhersehbare Tragödie" - es habe immer schon "strukturelle Zweifel" am Bau des Ingenieurs Riccardo Morandi gegeben.

Die Brücke wurde zwischen 1963 und 1967 gebaut. Der inzwischen verstorbene Morandi ist für seine Brückenbauten berühmt, bei denen er eine spezielle Konstruktionsweise mit Spannbeton, also Beton mit gespannten Stahleinlagen, verwendete. Schon lange seien allerdings die Probleme dieser Bauart bekannt, kritisierte Antonio Brencich, ein Experte für Betonbau von der Universität Genua.

"Morandi wollte eine Technologie verwenden, die er patentiert hatte und die danach nicht mehr benutzt wurde", sagte er dem Sender Radio Capitale. Diese Technologie habe "versagt". Brencich hatte schon vor Jahren Bedenken über das 1,18 Kilometer lange Bauwerk geäußert.

Brücke bereits nach Fertigstellung baufällig gewesen

Eigentlich waren Brücken wie diese auf etwa ein Jahrhundert angelegt, schrieb "ingegneri.info" - die Morandi-Brücke sei aber bereits in den Jahren nach der Fertigstellung baufällig gewesen. Zuletzt mussten demnach Anfang der 2000er-Jahre Tragseile ersetzt werden, die erst in den 1980er- und 1990er-Jahren eingebaut wurden.

"Vor 50 Jahren hatten wir uneingeschränktes Vertrauen in Stahlbeton", sagte Diego Zoppi, Ex-Präsident der Architektenkammer in Genua. "Jetzt wissen wir, dass er nur ein paar Jahrzehnte hält." Er warnte vor weiteren derartigen Unglücken, wenn keine umfassenden Bauarbeiten an Nachkriegsbauten vorgenommen würden. "Das in den 1950er- und 1960er-Jahren gebaute Italien hat Renovierungen dringend nötig. Das Risiko von Einstürzen wird unterschätzt", sagte Zoppi.

Die Brücke überspannte dutzende Bahngleise sowie ein Gewerbegebiet mit Gebäuden und Fabriken. Zum Unglückszeitpunkt am Dienstag wurden Wartungsarbeiten an der Brücke vorgenommen, überdies gab es ein Unwetter.

Laut der Nachrichtenagentur Radiocor gab es kürzlich eine Ausschreibung für die Instandsetzung der Brücke. Dabei sei es um eine Stärkung der Tragseile gegangen - unter anderem an dem nun eingestürzten Abschnitt.

2009 über Abriss nachgedacht worden

Schon im Jahr 2009 war über einen Abriss nachgedacht worden, doch jedes Jahr fahren 25 Millionen Autos über die Morandi-Brücke. Italiens Vize-Minister für Infrastruktur, Eduardo Rixi, kündigte nun den Abriss der gesamten Brücke an.

Die Autobahnbrücke liegt auf der sogenannten Blumenautobahn A10, einer auch von zahlreichen Touristen genutzten wichtigen Verkehrsachse an der italienischen Riviera, die Genua mit Ventimiglia an der französischen Grenze verbindet.

(APA/AFP)

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