Chemnitz: Berlin lässt rechte Netzwerke prüfen

1. September 2018, Chemnitz
1. September 2018, ChemnitzReuters (Hannibal Hanschke)
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Bei den jüngsten Protesten in der deutschen Stadt Chemnitz mit tausenden Teilnehmern verschiedener Lager wurden mindestens 37 Straftaten verzeichnet.

Die Ermittlungen in Chemnitz müssen laut der deutschen Justizministerin Katarina Barley aufklären, inwieweit rechtsextreme Netzwerke hinter den Demonstrationen und ausländerfeindlichen Ausschreitungen stecken.

"Wir dulden nicht, dass Rechtsradikale unsere Gesellschaft unterwandern", sagte die SPD-Politikerin der "Bild am Sonntag". Der Generalbundesanwalt beobachte die Ereignisse in Chemnitz sehr genau und tausche sich mit den sächsischen Behörden eng aus. "Es geht darum herauszufinden, welche Organisationen hinter der Mobilisierung rechter Gewalttäter stecken."

Am Samstagabend waren mehrere Tausend Anhänger der AfD und des rechtspopulistischen Bündnisses "Pro Chemnitz" weitgehend friedlich durch die Straßen der Stadt gezogen. Bei den Protesten und Gegenkundgebungen wurden einer ersten Polizeibilanz zufolge 18 Menschen verletzt. Zudem gab es 37 Straftaten. Vergangenen Sonntag und Montag war es nach der Tötung eines Deutschen zu ausländerfeindlichen Ausschreitungen gekommen. Dabei wurde auch der verbotene Hitlergruß gezeigt.

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1. September 2018, ChemnitzReuters (Hannibal Hanschke)

AfD-Kundgebung und Gegenprotesten

Eine Großkundgebung unter dem Motto "Herz statt Hetze" richtete sich gegen Fremdenfeindlichkeit, währen die große AfD-Kundgebung gegen Migration mobil machte. Die Kundgebungen lösten sich am Abend auf.

An der von einem breiten Bündnis getragenen Großdemo unter dem Motto "Herz statt Hetze" beteiligten sich einem Sprecher der Stadt Chemnitz zufolge fast 4.000 Menschen. An der Kundgebung nahmen am Samstagnachmittag auch mehrere Spitzenpolitiker wie SPD-Vizechefin Manuela Schwesig, Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch und die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock teil.

Eine Besuchergruppe um den SPD-Bundestagsabgeordneten Sören Bartol wurde nach seinen Angaben am Abend von Rechtsradikalen überfallen. "Meine Gruppe aus Marburg wurde gerade auf dem Weg zum Bus von Nazis überfallen", schrieb Bartol auf Twitter. Alle SPD-Fahnen seien "zerstört" worden, einige seiner Begleiter seien "sogar körperlich angegriffen" worden. Er fügte hinzu: "Ich bin entsetzt" und "Was ein Schock".

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1. September 2018, ChemnitzReuters (Hannibal Hanschke)

Mehr als zwei Stunden nach Beginn der "Herz statt Hetze"-Demonstration versammelten sich mehrere tausend Menschen zu der AfD-Kundgebung. Auch Teilnehmer einer Demonstration der rechten Organisation Pro Chemnitz schlossen sich an, nachdem die Organisatoren diese für beendet erklärt hatten. Laut dem Sprecher der Stadt beteiligten sich rund 4.500 Menschen.

AfD-Politiker aus mehreren Landesverbänden waren am Samstag in Chemnitz, darunter die AfD-Landesvorsitzenden von Thüringen, Sachsen und Brandenburg, Björn Höcke, Jörg Urban und Andreas Kalbitz. Auch die fremdenfeindliche Pegida-Bewegung schloss sich der Kundgebung an. In dem Aufruf zu dem sogenannten Schweigemarsch hieß es, es solle "um die Toten und Opfer der illegalen Migrationspolitik" in Deutschland getrauert werden.

In Chemnitz war vergangenes Wochenende ein 35-jähriger Deutscher getötet worden. Zwei Männer aus Syrien und dem Irak sitzen deswegen in Untersuchungshaft. Danach kam es zu Demonstrationen in der Stadt, an denen sich gewaltbereite Rechtsextreme beteiligten. Dabei gab es auch Angriffe auf Ausländer.

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1. September 2018, ChemnitzReuters (Hannibal Hanschke)

Die Polizei versuchte am Samstag mit einem Großaufgebot von 1.800 Beamten, die Demonstrationen auseinanderzuhalten und erneute Ausschreitungen zu verhindern. Die Polizei meldete einige Rangeleien zwischen "Kleingruppen" der verschiedenen Lager, die meisten Demonstranten seien aber friedlich gewesen.

Insgesamt seien 18 Menschen verletzt worden, teilte die Polizei am späten Abend mit. Zudem sei abseits der Demonstrationsorte ein 20-jähriger Afghane von vier Vermummten angegriffen und leicht verletzt worden. Die Polizei habe Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung aufgenommen. Es werde geprüft, ob es sich bei den Tätern um ehemalige Versammlungsteilnehmer handle.

Laut Polizei gab es mindestens 37 Straftaten, darunter Körperverletzungen, Sachbeschädigungen und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Auch sei ein MDR-Kamerateam in einer Privatwohnung angegriffen worden. Dabei sei ein Mitarbeiter des Teams verletzt worden.

"Chemnitz ist weder grau noch braun" 

Die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) forderte, Hetzern "unsere Stärke und unsere demokratische Grundüberzeugung mit aller Kraft" entgegenzusetzen. Dass Chemnitz "weder grau noch braun" sei, müsse jetzt in "Wort und Tat" gezeigt werden.

Ein Bündnis von Bürgern, Unternehmen und Wissenschaftlern aus Chemnitz hatte die Bewohner der Stadt unter dem Motto "Chemnitz ist weder grau noch braun" zu mehr Engagement für ein friedliches Miteinander aufgerufen. In mehreren Tageszeitungen erschienen großformatige Anzeigen mit dem Aufruf. Zu den Unterzeichnern gehören zahlreiche in Chemnitz ansässige Firmen.

Chemnitz habe "seine guten Seiten und seine Probleme", heißt es in dem Aufruf. Die Stadt könne aber nicht mit "Hass, Gewalt, Intoleranz und vor allem Wegschauen" leben.

(APA/AFP)

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