Die Winterzeit entspricht am besten unserer inneren Uhr, sagen Schlafforscher – und warnen davor, die permanente Sommerzeit einzuführen. Schlafmangel gefährde Gesundheit und Leistungen. Russland kenne dies bereits.
Am Ende jammerte sogar Wladimir Putin. Er komme später als sonst in Schwung, klagte der starke Mann Russlands, nachdem sein Land im Oktober 2011 auf die „ewige Sommerzeit“ umgestellt hatte. Das war während der Präsidentschaft von dessen Ziehsohn Dmitri Medwedew. Es dauerte keine drei Jahre, bis Putin, inzwischen wieder zum Staatschef gewählt, die Entscheidung rückgängig machte. Seitdem herrscht in Russland Winterzeit. Die Zeitumstellung bleibt abgeschafft.
Die Erfahrung Moskaus könnte Europa noch bevorstehen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will nach der europaweiten Umfrage keine Zeit mehr verlieren und die halbjährliche Umstellung der Uhren schon im nächsten Jahr aufheben (s. Seite 3). Zwar soll es den Staaten selbst überlassen bleiben, welche Zeit sie wählen. Europaweit hat sich eine deutliche Mehrheit für die Sommervariante ausgesprochen. Doch Schlafforscher warnen vor den Folgen einer permanenten Umstellung auf Sommerzeit.
"Dicker, dümmer und grantiger"
„Wir Europäer werden dicker, dümmer und grantiger“, fasst etwa Till Roenneberg von der Universität München zusammen. Der Grund: Bei permanenter Sommerzeit müsse man deutlich häufiger im Dunkeln aufstehen. Das erhöhe die Wahrscheinlichkeit für Diabetes und Depressionen. Man schaffe sich so Schlaf- und Lernprobleme, schränke die Leistungsfähigkeit ein. Besonders litten Schulkinder und Studenten, die das Gelernte bei einem chronischen Schlafmangel nicht genügend verarbeiten könnten. „Jedes Land, das das nicht macht, wird uns akademisch überholen“, prognostiziert der deutsche Forscher.
Tatsächlich war die lange Dunkelheit in den winterlichen Morgenstunden einer der Hauptgründe, warum Russland die Sommerzeit wieder annullierte. Vor allem im Norden und im Osten des Landes wurde es in der kalten Jahreszeit erst gegen 10 Uhr hell. Die Menschen seien permanent übermüdet, was die Konzentrationsfähigkeit beeinträchtige und die Unfallwahrscheinlichkeit erhöhe, kritisierten Psychologen damals. Am Ende waren fast 40 Prozent der Russen für die Rückkehr der Winterzeit.
Sonnenaufgang: 9.06 Uhr
Auch Österreich müsste sich im Fall einer permanenten Umstellung auf Sommerzeit auf dunkle Wintervormittage einstellen. So würde in Wien am 21. Dezember, dem kürzesten Tag des Jahres, erst um 8.43 Uhr die Sonne aufgehen, in Bregenz um 9.06 Uhr. In der Winterzeit zeigt die Uhr bei Sonnenaufgang eine Stunde früher an. Gleiches gilt allerdings auch für die heißen Monate: Während es in Wien im Juni während der Sommerzeit bis um kurz vor fünf Uhr dunkel bliebe, müsste man sich in der „Normalzeit“ bereits gegen vier Uhr früh auf die ersten Sonnenstrahlen einstellen. Und im Schanigarten am Abend bliebe es dann nicht mehr so lang hell.
Trotzdem plädieren die meisten Schlafforscher dafür, die Sommerzeit gänzlich abzuschaffen. Denn: Licht und Dunkelheit bestimmen, wann wir wach und wann wir müde werden. Die „Normalzeit“ entspreche wesentlich besser dieser inneren Uhr, argumentierte etwa die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin in einer Stellungnahme. Das sei auch der Grund, weshalb es den meisten Menschen deutlich schwerer falle, sich auf die Sommerzeit einzustellen, als den Körper im Winter wieder an die Normalzeit zu gewöhnen.
Mehr Verkehrsunfälle
Die Zeitumstellung beizubehalten ist laut den Experten auch keine gute Lösung. Neben dem Schlafdefizit und den Konzentrations- und Leistungsproblemen aufgrund des „Mini-Jetlags“ unmittelbar danach fanden Wissenschaftler noch andere überraschende Effekte: So zeigte eine in der Fachzeitschrift „Psychological Science“ veröffentlichte Studie, dass Richter in den Vereinigten Staaten am Montag nach der Zeitumstellung härtere Urteile verhängten als an sonstigen Montagen. Auch die Zahl der Verkehrsunfälle sei deutlich höher als sonst. Und die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ zitierte eine groß angelegte Untersuchung einer italienischen Arbeitsgruppe, wonach es zu Beginn der Sommerzeit mehr Herzinfarkte gebe als in anderen Wochen und Monaten des Jahres.
(APA/dpa/red.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2018)