Viele Tote bei Amoklauf auf der Krim

Rettungskräfte am Mittwochnachmittag am Schauplatz der Bluttat in Kertsch ganz im Osten der Krim.
Rettungskräfte am Mittwochnachmittag am Schauplatz der Bluttat in Kertsch ganz im Osten der Krim.imago/ITAR-TASS
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20 Menschen starben bei einem Angriff auf das Polytechnikum in der Hafenstadt Kertsch. Der Täter war ein 18-Jähriger. Als sein Motiv gilt Hass auf die Schule.

Moskau. Es dauerte nicht lang, da tauchten die ersten Gerüchte auf: Ein Tatare habe den brutalen Angriff auf das Polytechnikum in Kertsch auf der Halbinsel Krim verübt, hieß es in einem Regionalmedium. Andere sprachen von einer „ukrainischen Spur“ und machten Saboteure für die mindestens 20 Todesopfer und mehr als 50 Verletzten verantwortlich.

Die Lage sei „wie in Beslan“, wurde eine Zeugin zitiert. In der Hauptstadt Nordossetiens hatten Islamisten vor 14 Jahren mehr als 1000 Kinder und Erwachsene in einer Schule als Geiseln genommen. Dass russische Behörden zunächst von einem „Terroranschlag“ sprachen, ließ ein politisches Motiv auch in Kertsch wahrscheinlich erscheinen.

Die Bluttat aber verübte ein anderer: Der 18-jährige Wladislaw Rosljakow, ein schmächtiger Bursche mit blondem Kurzhaar. Er betrat am Mittwoch gegen zwölf Uhr Ortszeit das Polytechnikum. Es war seine Schule. Videoaufnahmen zeigen, dass er mit einem Gewehr bewaffnet war. Noch ist nicht vollkommen klar, was dann geschah. Rosljakow, Schüler des vierten Jahrgangs, dürfte eine Bombe in die Cafeteria geworfen haben. Danach begann er mit seinem Gewehr auf Mitschüler zu schießen.

Mehrere Menschen befanden sich gestern Nachmittag noch in einem kritischen Zustand, erklärte die russische Polizei.

150 Patronen gekauft

Über sein Tatmotiv kann der junge Mann nicht mehr befragt werden. Sicherheitskräfte fanden seinen leblosen Körper im Schulgebäude. Rosljakow beging offenbar Suizid.

Medienberichten zufolge erhielt er Anfang September die Erlaubnis zum Besitz eines großkalibrigen Gewehres. Vor ein paar Tagen soll er 150 Patronen erworben haben. Als mögliches Motiv wurden Schwierigkeiten mit den Lehrbeauftragten genannt. Er habe die Schule wegen der „bösen Lehrer“ gehasst, sagte ein Bekannter des mutmaßlichen Mörders zum Wirtschaftsmedium RBK.

War der Amoklauf eine spontane Tat oder von langer Hand geplant? Hat der junge Mann die Waffe wirklich auf legalem Weg erhalten? Die Lokalbehörden müssen viele Fragen beantworten. Die Polizei ermittelt wegen mehrfachen Mordes. Tatsächlich dürfte es sich bei dem Verbrechen um die Tat eines Einzelnen handeln. Auf der Halbinsel wurde eine dreitägige Trauer ausgerufen.

Wie politisch aufgeladen die Lage auf der von Moskau vor vier Jahren einverleibten Krim ist, davon zeugen die ersten Interpretationen und Reaktionen. Der russische Präsident, Wladimir Putin, drückte den Angehörigen sein Mitgefühl aus, änderte seine Arbeitsagenda aber nicht. Er rief die Ermittler auf, das Verbrechen „sorgfältig zu untersuchen“. Aus der Ukraine, zu der die Krim nach internationalem Recht weiter gehört, gab es hingegen keine Reaktion. Nach längerem Schweigen sprach der ukrainische Präsident, Petro Poroschenko, von einem "schrecklichen Mord". Er kündigte eine eigene Untersuchung der Ukraine an. Das ist ein symbolischer Schritt: Die ukrainischen Behörden haben seit dem Jahr 2014 keinen Zugriff mehr auf die Halbinsel.

Keine Normalität auf der Krim

Zwischen Russland und der Ukraine ist die Lage äußerst angespannt. Gerade im angrenzenden Asowschen Meer kommt es seit einiger Zeit zu Zwischenfällen im Schifffahrtsbetrieb. Die 144.000 Einwohner zählende Stadt liegt im äußersten Osten der Halbinsel. Am Rande der Stadt verläuft die neu gebaute Krim-Brücke, die der russische Präsident vor einigen Monaten festlich einweihte. Sie verbindet die Halbinsel mit dem russischen Festland. Das mehrere Kilometer lange Bauwerk ist ein Beispiel dafür, wie Moskau auf der Krim Fakten schafft. Gleichzeitig suggeriert der Kreml der Bevölkerung, dass längst Normalität herrsche und die knapp zwei Millionen Bürger dort in Sicherheit lebten.

Diese Darstellung der Geschichte hat mit dem gestrigen Schussattentat einen Dämpfer erhalten. Allerdings ist die Krim statt von dem von Politikern und Beobachtern oftmals beschworenen geopolitischen Konfliktfall von etwas anderem erschüttert worden: von einer menschlichen Tragödie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2018)

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