Studie: Wie wir mit Essen die Welt retten können

Archivbild: Gemüse auf einem Wiener Markt
Archivbild: Gemüse auf einem Wiener Markt(c) REUTERS (Leonhard Foeger)
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Unsere Ernährungsgewohnheiten bedrohen die Gesundheit der Menschheit und des Planeten, warnt ein Team renommierter Forscher. Sie fordern eine radikale Änderung unseres Speiseplans – und der Nahrungsmittelproduktion.

Wien. Es ist ein dramatischer Appell, den internationale Wissenschaftler am Mittwoch an die Öffentlichkeit richteten. „Unsere derzeitigen Ernährungsgewohnheiten bedrohen sowohl die Menschen als auch den Planeten“, schrieben die Forscher in einer Studie, die im renommierten Fachmagazin „The Lancet“ veröffentlicht wurde. Ungesunde Ernährung verursache derzeit weltweit mehr Krankheits- und Todesfälle als ungeschützter Sex und der Konsum von Alkohol, Tabak und Drogen zusammengenommen. Gleichzeitig sei die globale Nahrungsmittelproduktion hauptverantwortlich für die Umweltzerstörung. Sie bedrohe das Klima, die Biodiversität und die Belastbarkeit der Ökosysteme.

Es ist vor allem eine Prognose, die die Experten im Blick hatten: Bis 2050 werden rund zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben. Ist es überhaupt möglich, so viele Personen gesund und ohne katastrophale Folgen für den Planeten zu ernähren? Das ist die Kernfrage, die sich das Team von 37 Forschern aus 16 Ländern stellte. Drei Jahre lang haben sie darüber gebrütet, in den besten wissenschaftlichen Instituten. Es sind klingende Namen dabei wie die Universitäten Harvard, Oxford und John Hopkins oder auch das Stockholm Resilience Center, ein Thinktank, der auf nachhaltige Entwicklung spezialisiert ist.

Die Presse/GK

Die Antwort der Wissenschaftler lautet: Ja, es ist möglich – aber nur, wenn wir unsere Ernährungsgewohnheiten und die globale Nahrungsmittelproduktion fundamental umstellen. „So, wie sich unser Ernährungssystem im 20. Jahrhundert radikal verändert hat, so muss es sich im 21. Jahrhundert radikal verändern“, sagt Tim Lang von der Universität London, Ko-Autor der Studie. Und: „Wir sind in einer katastrophalen Situation.“

Falsche Ernährung ist lebensgefährlich

Wie dramatisch die Lage ist, zeigt schon ein Blick auf die aktuellen Zahlen: Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation litten im Jahr 2017 mehr als 820 Millionen Menschen an chronischer Unterernährung und Hunger – Tendenz steigend. Die Zahl der Übergewichtigen bezifferte die UN-Organisation gleichzeitig auf rund zwei Milliarden, davon gelten mehr als 650 Millionen als fettleibig. Auch hier zeigt der Trend nach oben, vor allem in Nordamerika. Fast drei Milliarden Menschen, knapp 40 Prozent der Weltbevölkerung, sind also fehlernährt. 2016, so schätzte eine ebenfalls in „The Lancet“ veröffentlichte Untersuchung im vergangenen Jahr, war falsche Ernährung weltweit die Ursache für zehn Millionen Todesfälle.

Bis zum Jahr 2050 werden zwischen 50 und 70 Prozent mehr Nahrungsmittel produziert werden müssen, um die wachsende Weltbevölkerung zu sättigen. Gleichzeitig werden heute bereits rund 40 Prozent der Landfläche weltweit für die Nahrungsmittelherstellung verwendet.

Die industrielle Landwirtschaft trägt einen erheblichen Anteil zum Klimawandel bei, vor allem die Nutztierhaltung. Das Institute for Agriculture and Trade Policy (IATP) in Washington kam 2018 zu dem Schluss, dass die fünf weltgrößten Fleisch- und Molkereikonzerne mehr Treibhausgas-Emissionen verursachen als die großen Ölkonzerne. Wachse die Branche so rasant weiter, werde der Viehbestand bis 2050 etwa 80 Prozent des Treibhausgasbudgets der Erde verbrauchen, warnte das IATP.

Als Ergebnis ihrer Forschung haben Tim Lang und seine Kollegen eine „planetarische Gesundheitskost“ definiert, die ideale Ernährung also, um die Menschen und den Planeten gesund zu erhalten. „Der globale Konsum von Obst, Gemüse, Nüssen und Hülsenfrüchten muss sich verdoppeln – und der Konsum von rotem Fleisch und Zucker muss um mehr als die Hälfte zurückgehen“, fasst Walter Willett von der Harvard-Universität zusammen.

Für einzelne Weltgegenden würde dies aber teilweise eine viel dramatischere Umstellung bedeuten. So müssten die fleischliebenden Nordamerikaner auf mehr als 80 Prozent ihres Rind-, Schwein- und Schaffleischkonsums verzichten, die Europäer immerhin auf rund 77 Prozent. Grundsätzlich empfehlen die Experten durchschnittlich 2500 Kalorien pro Tag, aber eben nicht mehr als 14 Gramm rotes Fleisch und 29 Gramm Geflügel. Mit anderen Worten: Ein Burger und eine Hähnchenbrust pro Woche sind im Rahmen, mehr aber nicht. Die Österreicher müssten sich deutlich einschränken: Hierzulande liegt der Fleischkonsum im Durchschnitt bei 1,2 Kilogramm pro Woche.

Ein bis zwei Eier pro Woche

Der Großteil der Proteine kommt in der „planetarischen Gesundheitskost“ von Hülsenfrüchten und Nüssen. 250 Gramm Milchprodukte täglich sind im Rahmen, was etwa einem Glas Milch entspricht. Auch ein bis zwei Eier pro Woche sind erlaubt. Dafür empfehlen die Forscher, täglich gut ein halbes Kilo Obst und Gemüse zu essen. Auf diese Weise könnten künftig elf Millionen Todesfälle pro Jahr vermieden werden, also zwischen 19 und 24 Prozent der Todesfälle unter Erwachsenen.

Auch für die Landwirtschaft haben die Forscher einen Maßnahmenkatalog formuliert. So müsse sich der Fokus auf die Herstellung gesunder und vielfältiger Lebensmittel richten statt darauf, möglichst große Mengen zu produzieren. Die Effizienz beim Verbrauch von Wasser und dem Einsatz von Düngemitteln müsse erhöht, die Verschwendung von Lebensmitteln drastisch reduziert werden. Weiters plädieren die Experten dafür, die weltweiten Ackerflächen nicht noch weiter auf Kosten der Natur zu vergrößern, sondern die Erträge der vorhandenen Flächen durch Innovation und nachhaltige Bewirtschaftung zu steigern.

Ja, die notwendige Veränderung sei radikal, schreiben die Wissenschaftler. Aber andernfalls „werden die Kinder von heute einen Planeten erben, der stark beschädigt worden ist und auf dem ein großer Teil der Bevölkerung zunehmend an Fehlernährung und vermeidbaren Krankheiten leidet“.

Auf einen Blick

37 Forscher aus 16 Ländern haben in einer Studie Richtlinien für eine Ernährung definiert, die zehn Milliarden Menschen gesund versorgen kann und gleichzeitig die Erde schützt. Sie plädieren dafür, den Konsum von rotem Fleisch und Zucker drastisch zu reduzieren. Gleichzeitig sollte der tägliche Speiseplan zur Hälfte aus Obst und Gemüse bestehen, die andere Hälfte überwiegend aus Vollkornprodukten, Nüssen und Hülsenfrüchten. Fleisch, Fisch und Eier sind in kleinen Mengen erlaubt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2019)

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