Terror gegen Muslime: Massenmörder filmte Anschlag

Flagge auf Halbmast. Ganz Neuseeland trauert nach dem schrecklichen Attentat auf Muslime in der Stadt Christchurch.
Flagge auf Halbmast. Ganz Neuseeland trauert nach dem schrecklichen Attentat auf Muslime in der Stadt Christchurch.AFP
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Mindestens 49 Menschen starben bei Attentat auf Gotteshäuser. Neuseelands Polizei verhaftete einen rechtsextremen Australier.

Christchurch. Es sind schreckliche Bilder, die die Welt am Freitag aus Neuseeland erreichten. Polizei und Rettungskräfte rasen zu Tatorten in der sonst so beschaulichen Stadt Christchurch. Dort liegen Tote, warten schwer verletzte Menschen auf Hilfe. Zuvor hatte mindestens ein Attentäter ein Blutbad in zwei muslimischen Gotteshäusern angerichtet. Mindestens 49 Menschen wurden bei dem Terroranschlag ermordet, mindestens 20 weitere Personen schwer verletzt. Es ist das schlimmste Blutbad in Neuseelands jüngerer Geschichte.

Ganz Neuseeland steht unter Schock. Von einem der „dunkelsten Tage“ in der Geschichte des Landes sprach Regierungschefin Jacinda Ardern. Die Tat sei ein offenbar gut vorbereiteter Terroranschlag gewesen. Der rechtsextreme Attentäter hatte vor seinem Verbrechen ein rassistisches Manifest im Internet veröffentlicht. Später wurde er gemeinsam mit mutmaßlichen Komplizen von der Polizei festgenommen.

Mehrere Hundert Menschen hatten sich in der 350.000-Einwohner-Gemeinde Christchurch im Süden Neuseelands zur Mittagszeit zum Freitagsgebet versammelt, als mindestens ein Angreifer mit einer Schnellfeuerwaffe auf die Betenden schoss. 41 Menschen starben in der Hauptmoschee von Christchurch, sieben weitere in einem Gebetshaus in dem Vorort Linwood. Ein weiteres Opfer sei später im Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen. Das gab die Polizei am Freitag bekannt.

Wächter schlägt Angreifer in die Flucht

Im Gebetshaus in Linwood konnte offenbar der Attentäter vertrieben werden. Zeugen zufolge wurde er von einem jungen Wächter überrascht. Das berichten neuseeländische Medien. Dem Wächter gelang es, dem Angreifer die Waffe zu entreißen. Da hatte der Attentäter allerdings schon im Gotteshaus gewütet. Ein Zeuge namens Sayed Mazharuddin, der nahe des Eingangs betete, berichtet im Gespräch mit Journalisten, dass 60 bis 70 Personen im Haus gewesen seien. Der Angreifer habe zunächst auf eine Gruppe alter Menschen nahe des Eingangs gefeuert. „Eine Frau dort sah ihn und schrie: ,Hilfe! Hilfe!‘, und er schoss ihr aus nächster Nähe mitten ins Gesicht.“

Freunde um ihn herum seien getroffen zu Boden gefallen, da habe sich dem Angreifer von der Seite ein junger Mann genähert. „Es war der Mann, der normalerweise auf die Moschee schaut, den Leuten beim Parken hilft und so weiter. Er sah eine Chance, stürzte sich auf den Schützen und entriss ihm die Waffe. Darauf hat dieser seine restlichen Waffen fallen lassen und ist weggerannt“, erzählte Mazharuddin. Der Wächter wollte dem Fliehenden nachsetzen und offenbar auf ihn schießen, so der Zeuge. Doch habe er es nicht geschafft, die Waffe, die er dem Attentäter abgenommen hatte, zu bedienen. Der Angreifer konnte flüchten.

Später nahm die Polizei mehrere Verdächtige fest. Ein Mann wurde wegen Mordes angeklagt. Dabei dürfte es sich um einen 28-jährigen Australier handeln. Australiens Premier, Scott Morrison, bezeichnete den Mann als rechtsextrem und gewalttätig. Der verhaftete Australier hatte im Vorfeld der Attacke ein 74-seitiges Hassmanifest im Internet veröffentlicht, in dem er vom „Genozid an Weißen“ durch muslimische „Invasoren“ schwadroniert (siehe Bericht S. 1). Dort verlinkte er auch auf seine Facebook-Seite, von wo aus er die Tat live im Internet übertrug.

REUTERS

17 Minuten dauert das Video, das der Täter mit seiner Helmkamera gefilmt haben dürfte. Es zeigt, wie ein Mann zunächst in einem Auto zu einer Moschee fährt. „Lasst uns die Party beginnen“, sagt er. Dann eröffnet er das Feuer. Im Auto des Attentäters läuft ein Song von Arthur Brown aus dem Jahr 1968: „Fire“. Die erste Zeile: „Ich bin der Gott des Höllenfeuers. Und ich bringe euch: Feuer.“ Auf dem Weg zu dem Blutbad soll er auch ein serbisch-nationalistisches Lied gehört haben. Das gehe aus einem Video der Tat hervor, berichtete der bosnische Botschafter in Neuseeland, Mirza Hajrić, dem Sender N1 TV. Das Kampflied heiße „Karadžić, führe deine Serben an“.

Der Ex-Präsident der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, ist einer der Hauptverantwortlichen für die Verbrechen an Bosniens Muslimen – darunter das Massaker in Srebrenica 1995, bei dem 8000 Menschen ermordet wurden. Das Tribunal in Den Haag hat Karadžić unter anderem wegen Völkermordes verurteilt. Derzeit läuft ein Berufungsverfahren. Anderen Medienberichten zufolge soll der rechtsextreme Attentäter von Christchurch auf seine Waffen auch die Namen von Personen geschrieben haben, die Muslime oder Migranten getötet hatten.

„Wir hätten das nie erwartet“

Nur etwa 50.000 Muslime leben im 4,8 Millionen Einwohner zählenden Neuseeland. Viele davon sind Einwanderer aus Staaten wie Pakistan oder Bangladesch. „Wir hätten nie erwartet, dass so etwas passiert“, sagte Mustafa Farouk, Präsident der neuseeländischen Islamverbände. Am Verhältnis der Muslime zu Neuseeland werde das Attentat nichts ändern: „Muslime leben seit mehr als hundert Jahren in Neuseeland, so etwas ist uns noch nie zugestoßen. Es wird also überhaupt nichts daran ändern, wie wir zu Neuseeland stehen.“

Verbrechensgeschichte

Die bisher opferreichste Bluttat in Neuseeland seit dem 20. Jh. war 1943 die Erschießung von 48 Japanern im Kriegsgefangenenlager Featherstone. Ein Wächter starb durch einen Querschläger. Etwa 240 Häftlinge hatten sich zum Protest zusammengerottet; als ihr Führer ein Gespräch forderte und vortrat, schoss ein Wächter auf ihn, worauf die Japaner sich anschickten, die Wächter anzugreifen, und Steine warfen. Die Soldaten schossen. Binnen 30 Sekunden starben 31 Japaner, die übrigen später.

Beim Amoklauf von Aramoana im November 1990 erschoss der Sonderling David Gray (34) in einer Siedlung an der Südinselküste nahe Dunedin 13 Menschen, darunter Kinder, mit einem chinesischen Sturmgewehr. Tags darauf lieferte er sich ein Gefecht mit einer Spezialeinheit. Fünf Kugeln trafen ihn, er raufte aber noch mit Beamten, bevor er auf dem Weg ins Spital starb. Der Vorfall wurde 2006 in „Out of the Blue – 22 Stunden Angst“ verfilmt.

Weitere extreme Mordfälle waren der Amoklauf von Hokitika auf der Südinsel: Der Bauer Stanley Graham erschoss 1941 nach Streit mit Nachbarn vier Polizisten und drei weitere Personen, er wurde nach tagelanger Flucht getötet. 1992 brachte der Bauer Brian Schlaepfer sechs Verwandte und sich selbst um; bald darauf erschlug und erstach Raymond Ratima, ein Maori, sieben Verwandte in Masterton auf der Nordinsel, darunter seine drei kleinen Kinder. Er war arbeitslos, nahm Drogen und ist noch in Haft.

>> Eine blutige Verbrechensgeschichte Neuseelands

(APA/dpa/AFP/Reuters/Red.)

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