Notre-Dame: Handwerksverband warnt vor Fachkräftemangel für Wiederaufbau

APA/AFP/LUDOVIC MARIN
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Derzeit scheint die Stabilität der Kathedrale gesichert zu sein, doch auf lange Sicht könnten Hitze und Wasser die Bausubstanz stark beeinträchtigt haben. Nur eine halbe Stunde war Notre-Dame von einer völligen Katastrophe entfernt.

"Wir werden handeln. Und wir werden Erfolg haben", sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Dienstagabend. In nur fünf Jahren soll die schwer beschädigte Kathedrale Notre-Dame wieder aufgebaut werden und das „noch schöner" als vorher. Mit dieser ehrgeizigen Ansage versucht der Präsident, die gespaltete Nation hinter sich zu einen. In seiner ersten Sitzung beriet am Mittwoch das Kabinett über dieses Versprechen.

Experten halten diesen Zeitplan für sehr ehrgeizig. Der Regierungsbeauftragte für das kulturelle Erbe, Stephane Bern, geht von "zehn bis 20 Jahren" für den Wiederaufbau aus. Der Handwerksverband Compagnons du Devoir erklärte, es fehle an Fachkräften, vor allem an Steinmetzen, Zimmerleuten und Dachdeckern, um das gotische Gotteshaus aus dem 12. Jahrhundert vollständig zu restaurieren.

Architektur-Wettbewerb um Dachreiter-Turm

Mit einem Architektur-Wettbewerb soll darüber entschieden werden, ob und wie der kleine, spitze Dachreiter-Turm wieder aufgebaut werden soll, sagte Premierminister Edouard Philippe nach der Regierungssitzung. Ein neuer Turm müsse den "Techniken und Herausforderungen unser Zeit" standhalten.

Außerdem kündigte Philippe ein neues Gesetzes an, das Transparenz im Umgang mit den Spenden sicherstellen soll. "Jeder Euro, der für den Wiederaufbau von Notre-Dame eingezahlt wird, wird dafür eingesetzt - und für nichts anderes", sagte Philippe. Eine entsprechende Vorlage soll es in der kommenden Woche geben. Außerdem solle eine öffentliche Einrichtung den Wiederaufbau leiten.

Finanzielle Unterstützung für das Projekt ist jedenfalls bereits sicher. Für den Wiederaufbau Notre-Dames ist schon fast eine Milliarde Euro an Spenden zusammengekommen. "Heute Morgen waren es fast 900 Millionen. Ich denke, wir werden heute noch die Milliardengrenze überschreiten", sagte der Fernsehmoderator Stephane Bern, der im Auftrag von Staatschef Emmanuel Macron für die Renovierung historischer Baudenkmäler in Frankreich zuständig ist, am Mittwoch dem Sender RMC. Der Großteils der Summe stammt von französischen Luxuskonzernen. Doch zunächst einmal muss genau festgelegt werden, welche Schäden durch die große Hitze und die Löscharbeiten am Gebäude entstanden sind.

Nur knapp entging das Pariser Wahrzeichen der kompletten Zerstörung, sagte der französische Innenstaatssekretär Laurent Nuñez. Die Feuerwehr habe den Brand gerade noch rechtzeitig löschen können - es habe sich „um 15 bis 30 Minuten“ gehandelt. Die Grundfesten der Kathedrale und die beiden Glockentürme halten nach seinen Worten stand, Sorgen bereiten aber weiter das Gewölbe und ein Giebel im nördlichen Querschiff.

"Verrückt, dass erst so große Katastrophe passieren muss"

Zumindest, was die Kalksteinblöcke betreffe, sei es auf lange Sicht sehr schwierig zu prognostizieren, wie stark die Bausubstanz beschädigt sei, sagte der aus Frankreich stammende Chefkurator der Gesteinssammlung des Naturhistorischen Museums Wien (NHM), Ludovic Ferriere.

Denn: Es kam vor allem Kalkstein aus verschiedenen Quellen aus und um Paris zum Einsatz. Kalkstein besteht im Groben aus Kalzit und Aragonit dazu kommen noch Anteile an Fossilien, Silikaten oder Ton. "In den Blöcken kann sich die Zusammensetzung unterscheiden. Das heißt, dass jeder Stein ein wenig anders reagieren kann", sagte der Wissenschafter der APA. Sind solche Felsen hohen Temperaturen ausgesetzt, können sich mehrere Effekte einstellen: Der Stein kann sich verfärben, es entstehen Risse, Bruchlinien und die Blöcke dehnen sich aus. Im schlimmsten Fall könne der Stein explodieren, wenn er mit Wasser in Kontakt komme.

"Die Presse"-Grafik

"Es gibt also Veränderungen in der Mineralzusammensetzung sowie der physikalischen und mechanischen Eigenschaft der Steine." Auch wenn die unmittelbare Stabilität der Kathedrale offenbar gewährleistet ist, "gibt es in der Langzeitbetrachtung einige Dinge, die schwer abzuschätzen sind", so Ferriere im Hinblick auf den anstehenden Wiederaufbau.

Dass sich nun viele Akteure auch finanziell daran beteiligen wollen, sei zwar positiv. "Es ist aber verrückt, dass offenbar erst so eine Katastrophe passieren muss, damit sich das Engagement erhöht", so der Forscher. Man dürfe nicht vergessen, dass es leider vielerorts Probleme mit der Erhaltung alter, wertvoller Bausubstanz gibt.

(APA/red.)

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