Der schwedische Staatsanwaltschaft will wegen Vergewaltigungsvorwürfen einen Auslieferungsantrag für den WikiLeaks-Gründer stellen. Aber auch die USA wollen Assange vor Gericht sehen.
Schwedens Zickzackkurs im Fall Julian Assange geht in eine neue Runde. Die dortige Staatsanwaltschaft hat am Montag bekannt gegeben, dass die 2010 direkt nach einer Vergewaltigungsanzeige von der damaligen Chefanklägerin Eva Finné als haltlos niedergelegte Voruntersuchung wieder aufgenommen wird. Noch 2010 sagte Finné nach einem gewaltigen Mediensturm über Assange als möglichen Vergewaltiger: „Ich vertrete den Standpunkt, dass es keinen Grund gibt, Assange dafür zu verdächtigen, dass er eine Vergewaltigung begangen hat.“ Kurz nach Finnés Beschluss hatte die mittlerweile im Ruhestand befindliche Staatsanwältin Marianne Ny die Voruntersuchung noch einmal eröffnet und einen internationalen Haftbefehl ausgestellt. 2017 wurde die Voruntersuchung jedoch erneut wieder eingestellt. Am Montag wurde sie wieder aufgenommen.
Ursprünglich wurde Assange verdächtigt, vier Sexualvergehen an zwei Schwedinnen im Sommer 2010 begangen zu haben, darunter auch Nötigung. Weil nur der Verdacht auf „weniger grobe Vergewaltigung“ an einer Frau nicht verjährt ist, beschränkt sich die nun wiederaufgenommene Voruntersuchung darauf, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft am Montag auf Anfrage der „Presse“. Schweden wird nun wieder einen Haftbefehl gegen Assange erlassen und einen Auslieferungsantrag stellen.
Doch es sei nicht sicher, ob es tatsächlich zu einer Anklage komme, betonte Vizeoberstaatsanwältin Eva-Marie Persson am Montag. Rechtsexperten glauben indes nicht, dass die Staatsanwaltschaft den international viel Aufsehen erregenden Fall nun erneut aufgenommen hätte, wenn sie nicht davon ausgehe, dass es auch zur Anklage kommt. Laut der Zeitung DN erwägt Staatsanwältin Persson die Möglichkeit, Assange zunächst über ein Videogespräch im britischen Gefängnis zu verhören. „Dazu muss Assange aber einwilligen“, sagte sie der Zeitung DN. Im August 2020 verjährt der Fall.
Gleichzeitig betonte Persson, dass es nun an den britischen Behörden liege, ob und an wen Assange ausgeliefert werde. Denn auch die USA haben einen Auslieferungsantrag wegen Assanges Enthüllung von US-Kriegsverbrechen 2010 gestellt.
„Schweden macht sich lächerlich“
Sollte Assange nach Schweden ausgeliefert und tatsächlich angeklagt werden, ist die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung hoch. Dann drohen dem Australier bis zu vier Jahre Haft. Zu der Wiederaufnahme der Voruntersuchung sagte Assanges Anwalt Per Samuelsson: „Schweden macht sich damit lächerlich“. Auch der Gerichtsreporter Willem Ericsson der renommierten Rechtsfachzeitschrift Dagens Juridik hatte eine Wiederaufnahme des Assange-Falls im Gespräch mit der „Presse“ für „unwahrscheinlich“ erachtet. „Dazu müsste sich die Beweislage zum besseren verändert haben. Das ist nach schon fast neun Jahren vermutlich nicht der Fall“, schätzt der schwedische Rechtsexperte vor dem Entscheid.
Um sich einer Auslieferung an Schweden zu entziehen, floh Assange 2012 in die Botschaft Ecuadors in London. Nachdem Ecuador Assange nach sieben Jahren das politische Asyl entzogen hatte, wurde er am 11. April in London festgenommen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2019)