Israel war wegen der politischen Lage als Austragungsort für das Musikspektakel international umstritten. In der Partyhauptstadt Tel Aviv lässt man sich davon nicht beeindrucken.
Tel Aviv/Jerusalem. Am Dienstagabend war es soweit: Das erste der zwei Semifinale des Eurovision Song Contest (ESC) 2019 ging in Tel Aviv über die Bühne. Kan, Israels öffentlicher TV-Sender, hatte die Sekunden gezählt bis es in den Expo-Messehallen im Norden Tel Avivs mit Glitter, Glanz und Lichtshows los ging. Österreichs Kandidatin Paenda steht im zweiten Semifinale am Donnerstag auf der Bühne. Zehn Kilometer südwestlich der Expo, am Strand von Tel Aviv, gibt es schon im Vorfeld der Ausscheidung die ersten Open-Air-Auftritte vor rund 20.000 Gästen. 1500 Journalisten sind eigens zu dem Musikevent aus dem Ausland angereist. Die Botschaften geben Empfänge für ihre Stars.
Dutzende Stände des internationalen Food-Festivals, gleich neben dem ESC-Dorf, wo Rucksackreisende ihre Zelte aufstellen dürfen oder eine preiswerte Unterkunft in von der Stadt organisierten Wohnmobilen mieten, laden die Besucher zur Kostprobe der unterschiedlichsten Spezialitäten ein. Das Bier aus Deutschland fließt bei überdurchschnittlichen Temperaturen um die 30 Grad in Strömen, orientalisches Street-Food, Sushi aus Fernost aber auch fein zubereiteter Fisch ist zu haben für Touristen, die es sich leisten können. Die Preise sind gesalzen. 500 Euro pro Ticket für das Finale sind ein neuer Rekord beim ESC.
Ganz umsonst zur Verfügung stehen hingegen einige hundert Elektro-Scooter, die das Rathaus schon seit einigen Wochen in der Stadt ausprobiert. Irgendwo steht oder liegt immer einer der Roller herum und ist mit Hilfe eines Smartphones leicht zu betätigen. Auf Radwegen lässt sich die gesamte Stadt erobern. Auch an der Küste führt über gut zehn Kilometer der Radweg vom nördlichen Hafen Tel Avivs am ESC-Dorf vorbei bis nach Jaffa, dem arabischen Viertel mit seinen Moscheen, dem alten Hafen, dem Flohmarkt mit vielen gemütlichen Restaurants und Bars.
Zum ersten Mal findet der ESC nicht in Jerusalem statt sondern im weltlichen Tel Aviv. Nach dem Sieg der Israelin Netta Barzilai mit ihrem Titel „Toy“ protestierten ultraorthodoxe Juden gegen die Veranstaltung am heiligen Schabbat. Die Entscheidung fiel schließlich auf den Austragungsort Tel Aviv. Auch Jerusalem und Haifa hatten sich beworben. Vor 20 Jahren, als die transsexuelle Künstlerin Dana International mit ihrem Titel „Diva“ den ESC für sich entschied, war Jerusalem Veranstaltungsort.
Madonnas umstrittener Auftritt
International umstritten war Israel als Austragungsort wegen der politischen Lage, der Besatzung des Westjordanlandes und der BDS-Kampagne, dem von Palästinensern organisierten Feldzug der zum „Boykott, De-Investition und Sanktionen“ gegen Israel aufruft. Dem Druck auch vieler ihrer Kollegen zum Trotz sagte Madonna ihren Auftritt im Rahmen des Finale zu. „Ich werde niemals aufhören, Musik zu machen, nur um der politischen Agenda von jemandem zu entsprechen“, meinte die Sängerin gegenüber Reuters kurz vor ihrer Abreise. Genauso wenig werde sie damit aufhören, sich „gegen Menschenrechtsverletzungen überall in der Welt“ stark zu machen. Madonna praktiziert die Kabbalah, die mystische Tradition des Judentums.
Aus Sorge vor verstärkten Boykottaktionen startete Israels Regierung eine Gegenoffensive im Internet, erklärt die israelische Position gegenüber der Raketenbedrohung und zeigt die schönen Seiten des Landes. Großen Schrecken hatte bei den Veranstaltern der Minikrieg mit der islamistischen Hamas im Gazastreifen am vorvergangenen Wochenende ausgelöst. Die beiden Konfliktparteien einigten sich mit Hilfe ägyptischer Vermittlung rasch auf einen Waffenstillstand, dennoch besteht die Drohung erneuter Raketenangriffe latent weiter. Die Botschaft der USA gab Warnungen an ihre Staatsbürger heraus und riet dazu sich „weit über den Gazastreifen und die Peripherie hinaus“ vorsichtig zu verhalten. Am 15. Mai, dem Tag zwischen den beiden Semifinalen, begehen die Palästinenser den Tag der Nakba, den Beginn der Flüchtlingskatastrophe, der gewöhnlich von Demonstrationen begleitet ist.
„Weiße Nacht“ in Tel Aviv
In Tel Aviv ist von Krieg und Raketen hingegen wenig zu spüren. Die Künstler aus aller Welt sind instruiert, wie sie sich im Fall eines Alarms zu verhalten haben, und für Israels Sicherheitsapparat gilt erhöhte Alarmbereitschaft, sollten Boykott-Aktivisten oder Islamisten das internationale Musikspektakel zu stören versuchen. Zwischen den beiden Semifinalen halten Museen, Kulturzentren und Geschäfte ihre Türen rund um die Uhr geöffnet, wenn Tel Aviv zur „Leila lavan“, zur „weißen Nacht“ einlädt mit Dutzenden Vorstellungen und Partys.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2019)