Die neue Mittelschicht: Was chinesische Bürger bewegt

Zhang Yeping und seine Frau Fengshan sind in ein Dorf nördlich von Peking gezogen, damit die fünfjährige Chengzi einen Waldorf- Kindergarten besuchen kann.
Zhang Yeping und seine Frau Fengshan sind in ein Dorf nördlich von Peking gezogen, damit die fünfjährige Chengzi einen Waldorf- Kindergarten besuchen kann.Marcus Wellendorf
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Geld, Erfolg und Status lautet das Mantra der rasant wachsenden, kaufkräftigen Gruppe in der Mitte der chinesischen Gesellschaft. Aber auch hier gibt es Ausbrecher, die Land statt Stadt, Individualität statt Kollektiv wählen. „Die Presse“ hat mit drei Familien aus Peking gesprochen.

„Fu“, Glück, prangt da rot und in Lebensgröße auf einer Ziegelmauer am Ende der überdachten Einfahrt, gegenüber dem Haustor. Chrysanthemen, Bambus und Karpfen umringen das Zeichen. Ein Rad lehnt an der Wand. Es ist ein Eingang, wie er wohl in vielen chinesischen Haushalten aussehen könnte. Doch ein Blick um die Ecke verrät: Typisch chinesisch ist an diesem Hutong – Vierkanthof – wenig.

In der Mitte ist ein buntes Tempelhüpf-Feld auf den Steinboden gezeichnet. Während draußen die Sonne die Luft aufheizt, baumelt im Hauptgebäude über dem Esstisch Weihnachtsdekoration. Daneben hängt das Gemälde eines alten Mannes mit zerfurchtem Gesicht über einer alten Holzkommode. Schief – ist das Absicht?

Hier – auf dem Land, eine Stunde Autofahrt vom Pekinger Stadtkern entfernt – trifft schwedischer Landhausstil auf ein modernes Loft. „Die haben wir selbst gemacht“, sagt Zhang Yeping – alle nennen ihn Ken, betont er – und zeigt auf bunte Autoreifen, die er mit Schnüren zu Hockern umfunktioniert hat. Lachend springt seine fünfjährige Tochter darauf herum. Chengzi, auf Deutsch Orange, nennt er sie. Vor ein paar Jahren sind Ken und seine Frau Fengshan von Peking in das Dorf nördlich der Hauptstadt gezogen. Nur wenige Chinesen würden das freiwillig tun.

In den vergangenen Jahrzehnten sind Hunderte Millionen vor dem Landleben geflüchtet: Zwei Drittel der Bürger leben heute in den Städten. So groß ist der Zustrom, dass Chinas Metropolen die entstandene „Großstadt-Seuche“ – Luftverschmutzung, Stau, Überlastung der Sozialsysteme – mit teils drakonischen Mitteln bekämpfen. „Dass ich einen eigenen Hof in der Provinz habe, können viele nicht verstehen“, erklärt Ken und zündet sich eine Zigarette an. Hinter ihm ragt der Dayangshan in die Höhe, einige Meter entfernt schwanken Bäume im Wind.

Wegen der Natur, der guten Luft seien sie hergezogen. Und wegen der Tochter. In dem Dorf gibt es eine Waldorfschule, an die auch ein Kindergarten angeschlossen ist. Das Notensystem öffentlicher Bildungseinrichtungen akzeptiere er nicht, sagt der 54-Jährige. Er studierte – ebenso wie seine Frau – Kunst und arbeitet als Berater im Reise- und Kulturbereich. „Ich will meinem Kind eine freie, offene Erziehung bieten.“

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