Sommer der Waffengewalt

Gedenken an die Toten von El Paso. Knapp drei Viertel der Bewohner der texanischen Grenzstadt sind mexikanischstämmige Hispanics.
Gedenken an die Toten von El Paso. Knapp drei Viertel der Bewohner der texanischen Grenzstadt sind mexikanischstämmige Hispanics.APA/AFP/JOEL ANGEL JUAREZ
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29 Tote innerhalb von nur 24 Stunden: Nach den Massakern in Texas und Ohio am Wochenende werden wieder Rufe nach strengeren Waffengesetzen laut. Wohl vergeblich.

Dayton/El Paso. Eigentlich hätte dieser August ganz im Zeichen von „Make Love, not War“ stehen sollen: Vor genau 50 Jahren zelebrierten beim Musikfestival in Woodstock 400.000 Hippies den „Sommer der Liebe“ – nach dem soeben begangenen 50-Jahr-Jubiläum der ersten Mondlandung der zweite Balsam auf die durch politische, wirtschaftliche und soziale Turbulenzen verunsicherte kollektive Seele der USA. Doch das Gedenken an Freiheit und Flower Power wird von einem regelrechten Kugelhagel überdeckt. Bei Massakern in den US-Bundesstaaten Texas und Ohio starben am Samstag und Sonntag mindestens 29 Menschen innerhalb von nur 24 Stunden. Und dass in einer nicht allzu weit entfernten Zukunft weitere Massenmorde geschehen werden, scheint aufgrund der massenhaften Verbreitung von Schnellfeuerwaffen so sicher wie das Amen im Gebet.

Das erste Massaker ereignete sich Samstagmorgen in der Cielo Vista Mall, einem beliebten Einkaufszentrum in der texanischen Grenzstadt El Paso: Der mutmaßliche Todesschütze, der von den Behörden als der 21-jährige Patrick Crusius identifiziert wurde, eröffnete mit einem Sturmgewehr das Feuer auf die Besucher des „Himmelsblicks“. Laut Zeugen feuerte der Schütze wahllos auf seine Opfer. 20 Menschen kamen ums Leben, 26 weitere wurden verletzt – einige von ihnen lebensgefährlich. Nach dem Massaker ergab sich der Mann kampflos der Polizei.

Nur wenige Stunden später folgte im Nordosten der USA die nächste Bluttat: In der Nacht auf Sonntag tötete ein Schütze in der Stadt Dayton mindestens neun Menschen. Medienberichten zufolge fielen die Schüsse nahe einer Bar im Oregon District, dem Ausgehviertel im Zentrum der Stadt. Mindestens 16 weitere Personen wurden durch die Schüsse verletzt, bis es den Sicherheitskräften gelang, den Angreifer zu töten.

Hass auf Hispanics

Was trieb die Massenmörder an? Zu den Beweggründen des mutmaßlichen Täters von El Paso gibt es nach Behördenangaben erste Indizien. Die Ermittler stufen das Massaker als inländischen Terrorismus ein. So soll der Mann vor der Bluttat ein selbst verfasstes Manifest im Internet publiziert haben, das darauf schließen lässt, dass es sich bei dem Massaker um ein rassistisch motiviertes Verbrechen handelt. Darin ist von einer „hispanischen Invasion“ in den USA die Rede, ebenso wie von dem rechtsextremen Anschlag auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch im März, bei dem 51 Betende getötet worden sind. Vor diesem Hintergrund erscheint der Tatort bewusst gewählt, denn die mexikanischstämmigen Hispanics stellen knapp drei Viertel der Bevölkerung von El Paso. Über die Motive des Todesschützen von Dayton war zunächst nichts bekannt.

Die offiziellen Reaktionen fielen erwartungsgemäß einhellig aus. US-Präsident Donald Trump schrieb am Samstag im Kurznachrichtendienst Twitter, der Angriff in El Paso sei „nicht nur tragisch, es war ein Akt der Feigheit“. Auf seine Anordnung sollen am Weißen Haus und an anderen Regierungsgebäuden alle US-Flaggen fünf Tage land auf halbmast gesetzt werden. Der Gouverneur von Texas, Greg Abbott, sprach von einem der „tödlichsten Tage in der Geschichte von Texas“ und von einem „hasserfüllten und sinnlosen Gewaltakt“. Auch alle demokratischen Präsidentschaftskandidaten – von Beto O'Rourke über Kamala Harris bis zu Joe Biden – verurteilten das Verbrechen und versprachen die Eindämmung der Waffengewalt.

Dass den Beileidsbekundungen mittlerweile etwas Schematisches anhaftet, hat mit der Häufigkeit der Gewaltdelikte zu tun. Seit Jahresbeginn wurden in den USA bereits 32 Schießereien mit mindestens drei Todesopfern verzeichnet. Erst am 28. Juli erschoss ein 19-jähriger Mann drei Besucher (darunter ein sechsjähriges Kind) des Knoblauch-Festivals in der kalifornischen Ortschaft Gilroy.

Dass das Zählen der Toten kein baldiges Ende haben wird, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sich in den USA geschätzte 390 Millionen Schusswaffen im Privatbesitz befinden – das entspricht 120 Stück pro 100 Einwohner. Und daran dürfte sich so bald nichts ändern, denn die National Rifle Association, der Verband der US-Waffenliebhaber, hat nach Berechnungen des Center for Responsive Politics allein in den vergangenen zwei Jahren gut elf Mio. Dollar für Lobbying und direkte Unterstützung (vor allem republikanischer) Politiker ausgegeben.

Der heurige Sommer der Waffengewalt überschattet nicht nur Woodstock – er hat auch eine unfreiwillige Ähnlichkeit mit dem Sommer der Liebe. Denn während vor 50 Jahren die Vorbereitungen für das Festival auf Hochtouren liefen, verübte die „Family“ des Sektenführers Charles Manson ein Blutbad in Kalifornien. Mit der Ermordung der schwangeren Schauspielerin Sharon Tate am 9. August 1969 war die Ära der Hippies definitiv zu Ende – noch bevor Jimi Hendrix in Woodstock die Bühne betrat, um den „Star-Spangled Banner“, die Hymne der USA, mit seiner Stromgitarre zu sezieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2019)

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