Italien: Das Geschäft der Mafia mit Tomaten

(c) APA (HERBERT PFARRHOFER)
  • Drucken

Ein Journalist ruft zum Boykott sizilianischer Pachino-Kirschtomaten auf: Die Mafia kontrolliere den Handel und sorge für übertriebene Preise. Mafia-Experten hingegen verstehen den ganzen Wirbel nicht.

Wien/Rom/Brüssel. Puristen verschmähen andere Sorten: Keine Tomate schmeckt so frisch, so saftig, so süß wie der sizilianische Pachino. Ausgerechnet dieses Heiligtum der mediterranen Küche ist nun in Verruf geraten: „Boykottiert den Pachino!“ forderte ein Journalist während einer Sendung im italienischen Fernsehen. Der Grund: Die Mafia kontrolliere die Produktion der exklusiven Kirschtomate. Seit gestern, Dienstag, beschäftigt sich die Anti-Mafia-Kommission mit dem Fall.

In einem Interview stellte Anti-Mafia-Ermittler Piero Grasso die Irrwege dar, die die kleine Tomate hinter sich bringen muss, bevor sie in einem sizilianischen Supermarkt landet: Frisch geerntet wird sie von der Insel zum Großmarkt im mittelitalienischen Fondi transportiert. Dort werden die Tomaten verpackt, erneut auf Lkw geladen – und zurück in das mehr als 1500 Kilometer entfernte Sizilien gebracht. Die Folge der Odyssee: Der Endpreis für den Konsumenten ist elf Mal höher als der Preis, den der Produzent erhält. Die Differenz wandert in die Taschen der Mafia, die das Monopol auf Transport und Vertrieb des Produktes hat.

„Ich erwarte, dass die RAI sofort diese absurden und schädlichen Anschuldigungen zurücknimmt“, reagierte Umweltministerin Stefania Prestigiacomo empört. Schließlich kommt sie aus Sizilien.

Odyssee sizilianischer Erdbeeren

Mafia-Experten hingegen verstehen den ganzen Wirbel nicht – so wie der sizilianische EU-Parlamentarier Rosario Crocetta, der wegen seines Anti-Mafia-Einsatzes als Ex-Bürgermeister aus Gela keinen Schritt ohne Leibwächter mehr tun kann. „Wieso nur der Pachino?“ wundert er sich im „Presse“-Gespräch: „Man hätte jedes andere Produkt auch erwähnen können. Seit Jahren sagen wir, dass Italiens Gemüse- und Obsthandel in Mafia-Händen ist.“

Tatsächlich hat der Markt von Fondi, einer der wichtigsten Umschlageplätze für italienische Agrarprodukte, keinen guten Ruf. Erst im vergangenen Jahr fand dort eine Anti-Mafia-Razzia statt. Clans aus ganz Süditalien hatten „schmutziges“ Geld aus Drogen- und Waffenhandel reingewaschen, indem sie es in „saubere“ Aktivitäten rund um den Lebensmittelhandel und -Transport investierten.

Bereits damals hatte Ermittler Grasso ein ähnliches Beispiel wie beim Fall Pachino beschrieben: Über Erdbeeren aus dem sizilianischen Vittoria, die erst nach Fondi transportiert, dort verpackt, dann schließlich zurück nach Vittoria verschickt, um schließlich in Mailand verkauft zu werden: um den zehnfachen Preis. Das Business mit Obst und Gemüse ist aber nur eines der vielen Betätigungsfelder der italienischen Mafia. Laut dem jüngsten Bericht der staatlichen Anti-Mafia-Kommission DIA betrug allein im Vorjahr der Umsatz des organisierten Verbrechens in Italien 120 Mrd. Euro. Haupterträge kommen aus dem Drogen-, Waffen- und Menschenhandel, aber auch durch Schutzgelderpressungen und Wucherzinsen. Investiert wird das Geld in pseudo-legale Aktivitäten wie öffentliche Bauaufträge, Müllentsorgung oder neuerdings – so der Bericht – in die stark subventionierte Entwicklung alternativer Energiegewinnung auf Sizilien. Besorgt äußern sich die Ermittler auch über die zunehmende Infiltration der öffentlichen Behörden.

Und hier müsse im Kampf gegen die Mafia auch angesetzt werden, meint Rosario Crocetta: „Es müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, dass die Mafia keine Geschäfte machen kann.“ Zum Tomaten-Boykott aufzurufen – und Produzenten zu kriminalisieren – bringt laut dem EU-Parlamentarier nichts. Im Gegenteil: „Die Produzenten werden von der Mafia zu Preisabsprachen gezwungen. Sie sind die Opfer der Clans.“

Auf einen Blick

Die italienische Mafia soll allein im Jahr 2010 121 Milliarden Euro „verdient“ haben. Der Handel mit Agrarprodukten ist nur ein „Nebengeschäft“. Hauptbusiness-Zweige sind Drogen-, Waffen- und Menschenhandel sowie die Baubranche, die Müllentsorgung oder Erträge aus Schutzgelderpressung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.