„Es machte immer tack, tack, tack“

Niederlande. Nach dem Amoklauf in einem Einkaufszentrum mit sieben Toten sitzt der Schock tief. Die Polizei rätselt über das Motiv des 24-jährigen Täters. von helmuth hetzel

Amsterdam. ,,Es machte immer wieder tack, tack, tack. Die Menschen rannten in Panik um ihr Leben, ich warf mich sofort auf den Boden“, berichtet die 23-jährige Amy. Sie hat den Amoklauf von Tristan van der Vlis überlebt, der im niederländischen Einkaufszentrum ,,De Ridderhof“ nahe Amsterdam mit einem Maschinengewehr Samstagmittag wild um sich schoss. Sechs Menschen starben, 16 wurden teils so schwer verletzt, dass sie auch heute noch in Lebensgefahr schweben. Nach der Tat jagte sich der 24-Jährige selbst eine Kugel in den Kopf.

Über das Motiv des Mannes kann bisher nur spekuliert werden. Ein Abschiedsbrief des Amokschützen, den die Polizei in seiner Wohnung gefunden hatte, gibt darüber keinen Aufschluss. Am Sonntag wurden Spekulationen laut, dass van der Vlis möglicherweise seine Eltern – bei denen er noch lebte – töten wollte. Die Mutter hat in dem betroffenen Einkaufszentrum in Alphen aan den Rijn ein Geschäft und hielt sich zum Tatzeitpunkt dort auf. Da Tristan van der Vlis einen Tarnanzug des Militärs trug, vermutete die Polizei zunächst auch, er sei Soldat oder Ex-Soldat und möglicherweise auf einem Rachefeldzug. Denn das Haager Verteidigungsministerium hatte erst vor wenigen Tagen eine große Armeereform angekündigt, die die Entlassung von rund 10.000 Soldaten der 70.000 Soldaten zählenden niederländischen Armee vorsieht.

Unerlaubter Waffenbesitz

Das Verteidigungsministerium jedoch dementierte umgehend: Tristan van der Vlis war nie Soldat. Allerdings war der Attentäter bei der Polizei einschlägig bekannt. Sie ermittelte im Jahr 2003 gegen ihn, offenbar schon wegen unerlaubten Waffenbesitzes. Das Verfahren wurde damals jedoch aus bisher unbekannten Gründen eingestellt.

Van der Vlis war offenbar ein Waffenfreak. Er war Mitglied im örtlichen Schützenverein und verfügte über Waffenscheine für fünf verschiedene Waffen. Der Besitz eines Maschinengewehrs ist nach niederländischem Recht jedoch der Armee vorbehalten. Wie also geriet die automatische Schnellfeuerwaffe in die Hände des jungen Mannes?

Panik herrschte im Einkaufszentrum auch noch, nachdem sich van der Vlis an der Kasse eines Supermarktes selbst gerichtet hatte. „Er stand nur einige Meter von mir entfernt. Ich habe vor Schreck meine Handtasche fallen gelassen und bin davongerannt“, berichtet Annemarie de Bruin. Unter den tausenden Menschen verbreitete sich das Gerücht, dass ein zweiter Schütze im Einkaufszentrum sei. Dies erwies sich aber schnell als falsch, der 24-Jährige war ein Einzeltäter.

Doch auch nach dem Selbstmord des Mannes wurde die Polizei noch einmal in Alarmbereitschaft versetzt: Im Auto des Mannes fand sie einen Zettel, wonach in Einkaufszentren Bomben deponiert seien. Der Bürgermeister von Alphen aan den Rijn fackelte nicht lange: Drei weitere Einkaufszentren sowie die umliegenden Wohnungen in der 40 Kilometer südlich von Amsterdam gelegenen Region wurden evakuiert. Es wurde jedoch kein Sprengstoff entdeckt, die Anrainer konnten kurze Zeit später in ihre Häuser zurückkehren.

Der Schock über den unerklärlichen Amoklauf sitzt tief in den Niederlanden. Sogar Königin Beatrix und Prinzessin Maxima sprachen noch am Samstag ihr Mitgefühl und ihr Beileid für die Familien der Opfer und ihr Entsetzen über das schreckliche Ereignis aus.

Ein politisches Nachspiel wird möglicherweise der Umstand haben, dass das Krankenhaus in Alphen aan den Rijn an Wochenenden aus Kostengründen geschlossen ist und die Polizei relativ spät kam.

Krankenhaus war geschlossen

Daher mussten die vielen Verletzten mit Hubschraubern in umliegende Krankenhäuser nach Rotterdam, Leiden, Den Haag und Amsterdam geflogen werden. Gerade bei Schussverletzungen ist eine schnelle und operative ärztliche Behandlung oft lebensrettend. Auch soll die Polizei erst nach etwa 15 Minuten am Tatort erschienen sein. Als sie endlich eintraf, hatte sich Tristan van der Vlis schon selbst erschossen.

Auf einen Blick

Amoklauf. In einem niederländischen Einkaufszentrum hat ein junger Attentäter am Wochenende sechs Personen und sich selbst erschossen und zahlreiche Menschen teilweise schwer verletzt. Einen Tag nach der Tat suchte die Polizei weiter nach Erklärungen für die Aggression des Mannes. Der 24-jährige Täter war der Polizei bekannt, warum gegen ihn ein Verfahren wegen unerlaubten Waffenbesitzes vor einigen Jahren eingestellt wurde, muss nun kritisch hinterfragt werden. Er war als Waffennarr bekannt. Die Tat verübte er mit einer automatischen Handfeuerwaffe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2011)

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