Schweden: Prozess wegen Kinderporno-Comics

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Das Höchstgericht entscheidet, ob japanische Mangas, die der Fantasie entsprungene sexuelle Handlungen an Kindern zeigen, illegal sind. Hintergrund ist ein Verfahren gegen den Comic-Experten Simon Lundström.

Dass pornografische Darstellungen von Kindern verabscheuungswürdig sind, steht nicht nur für die Schweden außer Frage. Das Land hat schon 1999 das wohl schärfste Verbot gegen deren Besitz eingeführt, seit 2010 ist auch die bloße Betrachtung von Bildern und Filmen mit Kindern als Opfer sexueller Gewalt ausdrücklich verboten. Was aber, wenn es keine Opfer gibt? Weil nämlich die Bilder keine Fotos, sondern reine Fantasie-Zeichnungen sind?

Mit dieser Grenzziehung muss sich nun der Oberste Gerichtshof in Stockholm befassen, denn der Gesetzgeber verzichtete auf eine klare Definition von Kinderpornografie. 51 japanische Manga-Comics, gespeichert im Computer des Comic-Experten Simon Lundström, sind Basis des Verfahrens. Der junge Mann, in der Internet- und Comic-Fangemeinde unter dem Pseudonym „Zimeon“ als Manga-Kenner berühmt, ist bereits in zwei Instanzen wegen des Besitzes der Bilder verurteilt worden. Doch auch Staatsanwalt Anders Perklev, der den Prozess gegen Lundström führte, empfahl dem Höchstgericht, den Fall erneut zu prüfen. Nach aktueller Gesetzeslage seien die bisherigen Urteile zwar glasklar, meint er. Dort werde kein Unterschied zwischen Fotos und Zeichnungen gemacht. Doch entspreche das wirklich den Vorstellungen des Gesetzgebers?

Mehr als bloß Jungmädchenerotik

Die seit den 1980ern auch in Europa populären japanischen Manga-Comics, deren Figuren durch riesige Augen, kindliche Züge und übertriebene Farbgebung und Gestik auffallen und oft verstören, ja nerven, gibt es in vielen Genres, von Horror über Komödie bis zu gezeichneter Literatur. Kinderserien wie „Dragonball“ und „Pokemon“ fanden globale Verbreitung.

Auch Manga-Pornos haben Anhänger. In den bei Lundström gefundenen Zeichnungen geht es allerdings nicht um Jungmädchenerotik, sondern um explizite Darstellungen von hartem Geschlechtsverkehr von Erwachsenen mit Kindern.

„Ich brauche solche Bilder nicht“, sagte Lundström in einem TV-Interview. „Ich brauche auch keine Splatterfilme und Castingshows. Ich empfinde sie als extrem unangenehm. Aber es ist wichtig, dass wir nicht Dinge verbieten, nur weil wir sie unangenehm finden.“

„In der Abwägung zwischen dem Schutz der Kinder und der Meinungsfreiheit wählte man Ersteres“, sagt Nils Funcke, Experte für Pressefreiheit. Staatsanwalt Perklev unterstreicht, dass das Gesetz nicht nur „echte“ Kinder schützen soll, sondern auch „Kinder im Allgemeinen“. Verbrechen könnten auch ohne spezifische Opfer begangen werden, wenn „die Gruppe Kind“ verletzt werde.

„Risiko der Gewöhnung“

Der Kinderpsychologe Olof Risberg unterstützt diese Deutung: „Jedes kinderpornografische Bild erhöht das Risiko, dass wir uns daran gewöhnen und etwas akzeptieren, was inakzeptabel ist.“ Er fordert null Toleranz und sieht die Urteile gegen Lundström als Sieg im Kampf gegen „die Sexualisierung der Kinderwelt“.

Laut der Technologieforscherin Marie Eneman gibt es hingegen keinen Beweis für einen Zusammenhang zwischen dem Konsum virtueller Pornografie und pornografischen Übergriffen. Sie begrüßt, dass die höchste Gerichtsinstanz die Grenzen ausloten soll. Doch für Ausnahmeregeln gebe es keine Stimmung, sagt Axel Peterson im Justizministerium. „Wenn über Kinderpornografie diskutiert wird, geht es eher um Verschärfungen und Schließen von Schlupflöchern. In diesen Fragen herrscht in Schweden Konsens.“

Keine künstlerische Freiheit?

Doch die Gesetze sind unklar: Für „künstlerische Darstellungen“ gibt es Ausnahmen. Aber künstlerische Freiheit gelte nur für den, der selbst zeichne, hieß es im Urteil der ersten Instanz gegen Lundström. Der Künstler dürfe malen, was er wolle, solange er das Produkt nicht öffentlich zugänglich mache. Was auf einem Computer liege, könne hingehen verbreitet werden und ist daher verboten. Die Strafrechtsprofessorin Madeleine Leijonhuvud nennt indes das Gesetz von 1999 veraltet und einen „unseligen Kompromiss“: „Nach jetzigen Regeln kann man in die Buchhandlung gehen und Nabokovs ,Lolita‘ kaufen. Wenn aber jemand daraus Zeichnungen machen wollte, würde er verurteilt.“

Auf einen Blick

Der schwedische Comic-Experte Simon Lundström steht wegen des Besitzes von Mangas, die sexuelle Handlungen mit unmündigen Minderjährigen zeigen, vor Gericht. In zwei Instanzen wurde er schon wegen Kinderpornografie verurteilt. Die Kernfrage ist, ob es bei Zeichnungen, die rein der Fantasie entspringen und kein reales Kind abbilden, überhaupt ein Opfer sexueller Gewalt geben kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2011)

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