Pandemiegefahr: Heftige Kritik an neuen Grippeviren

(c) AP (JOERG SARBACH)
  • Drucken

Forscher haben einen Vogelgrippe-Erreger gebaut, der dermaßen gefährlich ist, dass er keinesfalls entkommen darf. Bei der gewöhnliche Vogelgrippe H5N1 wurden weltweit 565 Menschen angesteckt.

In zwei Labors auf dem Erdenrund lagern unter höchster Sicherheitsstufe Grippeviren, die nicht freiwerden dürfen, weil sie eine Pandemie verursachen und „den Lauf der Weltgeschichte“ verändern könnten.

So drastisch formuliert das ansonsten nüchterne Wissenschaftsjournal Science, was da droht, etwa aus dem „Erasmus Medical Center“ in Rotterdam: Dort hat der Virologe Ron Fouchier ein Monster konstruiert, wie es von der Natur selbst bisher glücklicherweise nicht erfunden wurde: Ein Vogelgrippevirus (H5N1), das sich zwischen Säugetieren – in diesem Fall: Frettchen, sie sind bei Grippeinfektion dem Menschen am ähnlichsten – über die Luft verbreiten kann.

Das kann die gewöhnliche Vogelgrippe H5N1 – ihr Name kommt von zwei Proteinen der Virenhülle – normalerweise nicht, ansonsten ist sie mörderisch genug: Millionen Vögel – Geflügel und Wildtiere – fielen ihr seit Ende der 1990er-Jahre in Ostasien zum Opfer, 2004 kam der Schrecken auch nach Europa. Damals wurden weltweit auch 565 Menschen angesteckt, das sind zwar wenige, aber fast zwei Drittel davon (331) starben.

„Viel schreckerregender als Anthrax“

Sie hatten sich in direktem Kontakt mit Geflügel angesteckt, das war das Glück im Unglück: Einfach über die Luft ging dieser Typ von H5N1 nämlich nicht. Aber jener im Labor von Rouchier (und ein Gegenstück in einem US-Labor) tut es: Mit kleinen gentechnischen Veränderungen haben die Forscher es geschafft, dass Frettchen bald tot umfallen, wenn sie nur in einem Käfig neben dem eines infizierten Tiers gehalten werden: „Ich kenne keinen anderen Erreger, der schreckerregender ist“, kommentiert Paul Keim, „im Vergleich mit diesem Erreger ist Anthrax harmlos.“ Keim kennt sich aus, er ist Chef des US National Science Advisory Board for Biosecurity (NSABB), er hat in dieser Funktion auch mit Anthrax zu tun, das ist das als Biowaffe gefürchtete Bakterium, das nach 9/11 in Briefen versandt wurde.

Und er ist nun am Zug. Denn Rouchier hat sein Rezept noch nicht publiziert (er berichtete nur auf einer Konferenz davon), will es aber tun. Doch da die Kritik auch aus Forscherkreisen immer lauter wird – auch Entwickler von Biowaffen und potenzielle Bioterroristen lesen Wissenschaftsjournale –, hat er sich mit Bitte um vorherige Begutachtung an den NSABB gewandt. Das kommt nur selten vor, immer dann, wenn an etwas geforscht wird, was extrem gefährlich ist oder es werden könnte: „Dual use“ heißt das dann, wenn man etwa zur Erkundung der Abwehr eines Erregers – durch Impfstoffe oder Medikamente – diesen selbst erst herstellt.

Wissenschaft ist gespalten

Das kann sinnvoll sein, deshalb ist die Forschung im Fall Fouchier gespalten: „Diese Studien sind sehr wichtig“, urteilt Michael Osterholm (University of Minnesota), „sie haben die Unterstützung der gesamten Grippeforschung.“ Auch Peter Palese, österreichischer Grippespezialist am Mount Sinai Medical Center in New York, versteht die Aufregung nicht: „Frettchen sind keine Menschen. H5N1 ist schon lange da“, und es habe sich nicht so verändert, dass es auch Säugetiere via Luft infiziere. „Dass das nicht geschehen ist, heißt nicht, dass es nicht geschehen kann“, widerspricht Jeffrey Taubenberger (US National Institute of Health), der selbst im Labor schon jenes tödliche Grippevirus rekonstruiert hat, das 1918/19 Millionen Menschen tötete und dann verschwand.

Was soll NSABB nun tun, die Experimente sind getan, das Wissen ist in der Welt, wenn auch noch nicht publiziert? „Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass potenziell gefährliche Experimente begutachtet werden sollten, bevor sie durchgeführt werden“, sagt Mark Wheels, emeritierter Rüstungskontrollforscher, University of California: „Die Publikation verhindern bringt vielleicht etwas mehr Sicherheit. Aber das ist sehr bescheiden im Vergleich mit den Vorteilen, die ein Unterlassen des Experiments gebracht hätte.“

Lexikon

H5N1-Grippeviren kommen in vielen Varianten vor, die sich in zwei Hüllproteinen unterscheiden: Hämagglutinin (H) und Neuraminidase (N). Aus der Kombination beider kommen dann die Namen: H5N1 ist die „Vogelgrippe“, die 2004 auch in Europa Schrecken verbreitete. Bisher war man sicher, dass die H5-Version zwar Vögel zu Millionen tötet, Menschen aber eher nicht bedroht. Die neue Laborkreatur könnte das ändern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.