Wer hier tanzt, bricht das Gesetz

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Symbolbild(c) Clemens Fabry
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Nicht allzu frohe Ostern: Vielerorts in der Bundesrepublik Deutschland müssen Diskotheken geschlossen bleiben. Seit die Bundesländer Bayern und Hessen das Tanzverbot verschärft haben, herrscht ein Kulturkampf.

Sie machen große Augen und lange Gesichter, die College-Studentinnen aus den USA. Endlich hat es geklappt mit der Europareise. Es ist Freitagabend, sie sind in Feierlaune, wollen München unsicher machen – und in der ganzen Stadt ist kein einziger Club geöffnet! Was ist hier los? „Tanzverbot“ seufzt ihr eingeborener Begleiter.

An „stillen Feiertagen“ wie Karfreitag, Karsamstag oder Allerheiligen (vulgo Halloween) darf in Bayern nicht an öffentlichen Orten getanzt werden. Wie überhaupt alle Veranstaltungen verboten sind, die keinen ernsten, auf den Anlass des Festes bezogenen Charakter haben. Frohe Ostern? Nun ja, auf jeden Fall nicht ausgelassene.

Das Tanzverbot ist ein deutsches Phänomen. Geregelt wird es in den Feiertagsgesetzen der Bundesländer. Die fallen mehr oder weniger streng aus. Aber am Karfreitag sind schwingende Tanzbeine bundesweit tabu. In Bayern wurde das Gesetz 2008 verschärft, weil durch den Wegfall der Sperrstunde eine „Verrohung der Sitten“ drohe. Proteste gab es kaum.

In Hessen hingegen herrscht Kulturkampf, dank Volker Stein, einem frommen „Ordnungsdezernenten“ in Frankfurt. Er befahl im Vorjahr, das bis dahin augenzwinkernd ignorierte Tanzverbot „mit allen Mitteln“ durchzusetzen, samt Kontrollen in Clubs und Strafen, „die an die wirtschaftliche Substanz“ gehen.

Flashmob in aller Stille.
Die Reaktion: Am Karfreitag, zur Sterbestunde Christi, füllte sich der Römerberg mit etwa 1500 Jugendlichen. Über Facebook hatten sie zu einem Flashmob auf dem historischen Hauptplatz aufgerufen. Mit Kopfhörern bestückt, tanzten sie leise, aber beschwingt durch die Gegend. Was nicht geplant war: Eine Karfreitagsprozession kreuzte den Platz. Und ganz still ging es nicht ab, vereinzelt gab es Rufe und Gegröle.

Damit rührte der Protest an den Ursprung des Gesetzes von 1952. Damals fanden Festivitäten am Land für alle hörbar in Zelten oder auf dem Dorfplatz statt, im Schatten der Kirche. Die nächtlichen Partys unserer Tage aber stören nicht den Gottesdienst, sondern allenfalls den Schlaf der Bürger. Wozu also ein Gesetz, das in Hessen sogar an allen Sonntagen eine religiös motivierte Sperrstunde vorschreibt? „Das ist theologisch nicht begründet“, gesteht Stephan Krebs ein, der Sprecher der Evangelischen Kirche Hessen: „Ein Sonntag oder Feiertag ist ja ein Fest der Freude.“ Aber er sollte in der Öffentlichkeit seinen Charakter behalten. Bei den stillen Tagen gehe es darum, „der dunklen Seiten des Lebens zu gedenken“ – unabhängig vom Bekenntnis: „Das ist ein kollektiver psychologischer Mechanismus, der sehr hilfreich sein kann.“ Im Übrigen habe das Gesetz „große Zustimmung in der Bevölkerung“. Und natürlich will die Kirche „die Tradition des christlichen Abendlandes erhalten wissen“.

Das will auch FDP-Politiker Stein.
Für die Grünen ist das „absurd“, weil „immer weniger Menschen in  Frankfurt einer christlichen Kirche angehören“. Keine Freude hatten auch die Jungen Liberalen mit ihrem Parteikollegen. Sie beknieten Stein, seine „Positionen zu überdenken“: „Gerade Liberale fordern möglichst geringe staatliche Eingriffe und eine Trennung von Kirche und Staat. Jeder Einzelne soll frei nach seiner Façon die Osterzeit verbringen dürfen“, alles andere sei „dem Selbstverständnis Frankfurts als offener Weltstadt nicht würdig“.

Stein ist nicht mehr an seinem Platz, sein Nachfolger verspricht, dass es heuer keine groß angelegten Kontrollen geben wird. Kehrt also Osterfriede ein? Nicht ganz. Denn die aufgeheizte Debatte animiert zu Anzeigen, denen die Ordnungshüter nachgehen müssen. Wie damals, als die Grüne Jugend Hessen auf ein Eintracht-Spiel am evangelischen Totensonntag hinwies – auch Sportveranstaltungen sind da verboten. Eigentlich wollten sie nur aufzeigen, wie unzeitgemäß das Gesetz sei. Aber die Behörde bestrafte den Fußballklub mit einem Bußgeld.

Ketzer gegen Kirchenmann.
Bei Discokontrollen stellt sich die Frage: Was ist noch erlaubt? So kommt es zu skurrilen Protokollen wie über die Münchner „Milchbar“ zu Halloween 2008: Fünf Menschen hätten sich „rhythmisch bewegt“. Solche diffizilen Einschätzungen bleiben österreichischen Polizisten erspart. Ein Tanzverbot gab es zuletzt nur noch in Tirol (bis 2004) und in Oberösterreich (bis 2007), das mit seiner Novelle unversehens zur Speerspitze des Liberalismus konvertierte. Nun heißt es im Veranstaltungsgesetz: „Allein aus politischen oder religiösen Gründen“ darf eine „Veranstaltung nicht untersagt“ und dürfen „Auflagen nicht vorgeschrieben werden“. Im wilden Jahr 2008 – eigenes Verbot gefallen, das in Bayern verschärft – erhofften sich grenznahe Discos zu Ostern sogar Busladungen von partyhungrigen Bayern. Der Glanz der Innviertler Partyszene erwies sich dafür auf Dauer dann aber doch als zu schwach. Mit der ihnen nachgesagten Bedächtigkeit haben die Schweizer das Verbot diskutiert. Nur fünf ländliche Kantone halten noch daran fest. Zuletzt kippte es 2009 Luzern, wo man fast 600 Jahre darüber gestritten hatte.

In Deutschland aber schützt schon die Verfassung die Feiertage als „Tage der seelischen Erbauung“. Dennoch sieht der freigeistige Philosoph Michael Schmidt-Salomon die Feiertagsgesetze als „Relikt aus vormodernen Zeiten“. Denn was seelische Erbauung ist, sei aus gutem Grund nicht definiert. Der Staat aber „spielt sich als Tugendwächter auf“. Er „gibt vor, was seine Untertanen zu empfinden haben“, und das „widerspricht seiner weltanschaulichen Neutralität“. Für Pfarrer Krebs hingegen verliert der Feiertag „seine Bedeutung für die Gesellschaft, wenn man ihn inhaltlich entkernt“. Diese Rute im Fenster lässt der Philosoph nicht gelten – und argumentiert dabei ökonomisch: „Dass ein Tag arbeitsfrei ist, ist das Verdienst der Bürger, die sich ihn erwirtschaftet haben.“

Damit stelle sich die Frage, wie die Feiertage neu zu definieren seien, damit sie „die Pluralität widerspiegeln“. Die Piraten wollen sie abschaffen: Jeder soll ein paar Urlaubstage mehr bekommen, die er sich frei wählen kann. Soweit muss man nicht gehen, meint Schmidt-Salomon. Denn für bestimmte Tage eine kollektive Arbeitsruhe zu schützen, hat nicht nur religiöse Gründe. So scheint das Kulturgut Feiertag doch im Kern einen Wert zu haben, der selbst Kirchenmann und Ketzer eint.

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