Gehrer: "Die Neue Mittelschule ist ein gelungener Wurf"

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Ex-Bildungsministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) will, dass man die Lehrer endlich in Ruhe arbeiten lässt, lobt Noch-Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) und erklärt, warum es beleidigend ist, "Strickliesl" genannt zu werden.

Die Presse: „Die ÖVP wird die Gesamtschule niemals einführen“ – das ist ein Zitat von Ihnen aus dem Jahr 2005. Wie überzeugt sind Sie jetzt noch davon?

Elisabeth Gehrer: Ich halte absolut nichts von der Strukturdiskussion. Durch die Veränderung der Schulstruktur wird die Qualität nicht verbessert. Ich wünsche mir eine Qualitäts- und keine Strukturdebatte.

In den Koalitionsverhandlungen wird es dennoch diskutiert. Bewegt sich die ÖVP durch das Aufweichen der Anti-Gesamtschul-Linie in die falsche Richtung?

Das kann ich nicht beurteilen. Ich sitze ja nicht bei den Verhandlungen. Würde ich dabeisitzen, dann würde ich die Themen nach Wichtigkeit reihen. Erstens: die frühkindliche Förderung – Kinder müssen zwei Jahre im Kindergarten sein. Zweitens: die verlässliche Volksschule – Kinder sollen dort sinnerfassend lesen, schreiben und rechnen lernen. Und drittens: die Verbesserung der Unterrichtsqualität. Und erst an allerletzter Stelle kommt die Strukturfrage.

Das heißt, dass die Bemühungen der Westachse – also von Vorarlberg, Tirol und Salzburg –, sich einer Gesamtschule anzunähern, umsonst sind?

Die Länder bemühen sich ja auch um andere Dinge. Aber: Diese verkrustete, ideologische Frage nach einer Gesamtschule sollte man hintanstellen. Ob es ein differenziertes Schulwesen oder eine Gesamtschule gibt, wird nicht so viel ändern. Entscheidend ist die innere Befindlichkeit der Schule, die Qualität der Lehrer und des Unterrichts und das Erreichen der Ziele. Die Gesamtschule ist nicht das einzig Seligmachende.

Im Umkehrschluss heißt das, dass auch ein Gesamtschulsystem gut funktionieren kann.

Ja. Aber die Frage ist: Rentiert sich dieses Verändern der Schulstruktur? Man muss bedenken, was das bedeutet. Es müsste nicht nur das Dienstrecht, sondern die ganze Organisation geändert werden.

Mit der neuen Lehrerausbildung und dem neuen Dienstrecht wird die Umstellung auf eine Gesamtschule ohnehin schon erleichtert.

Die Umorganisation ist dennoch eine enorme Anstrengung und sie bringt Unruhe. Man soll die Lehrer endlich in Ruhe arbeiten lassen. Ich wünsche mir, dass jetzt einmal die Neue Mittelschule (NMS, Anm.)wirklich zum Leben erweckt wird.

Lebt die NMS noch nicht?

Es ist ein gutes Angebot, aber ich höre immer, dass die Lehrer für das Teamteaching (dabei unterrichten zwei Lehrer, Anm.) fehlen.

Sie haben bei Ihrem Abschied gesagt, dass Sie wissentlich keine Fehler gemacht haben. Mittlerweile ist viel Zeit vergangen, sind Ihnen schon Fehler eingefallen?

Rückblickend würde ich die Betroffenen mehr einbeziehen. Das hätte Konflikte beim neuen Universitätsgesetz entschärfen können.

Wie fällt Ihr Urteil über die scheidende Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) aus?

Ich weiß, wie schwer der Job ist. Man hat mit sechs Millionen Experten zu kämpfen.

Hat Schmied Ihrer Meinung nach einen großen Fehler gemacht?

Nein. Ich glaube sogar, dass die NMS ein sehr gelungener Wurf ist.

Sie wurden als „Strickliesl“ verunglimpft, Ministerin Schmied wurde nachgesagt, sie habe als Bankerin keine Ahnung. Was muss ein Bildungsminister machen, um akzeptiert zu werden?

Erstens bin ich für eine Abrüstung der Worte. Es ist beleidigend, wenn du so tituliert wirst. Außerdem hat sich das Gerücht, dass ich Handarbeitslehrerin bin, hartnäckig gehalten. Ich habe nichts gegen Handarbeitslehrerinnen, aber ich bin es nicht. Zu Ihrer Frage: Man kann es den Leuten nicht recht machen.

Sie leiteten Wissenschafts- und Unterrichtsministerium zugleich. Empfehlen Sie eine neuerliche Zusammenlegung der Ressorts?

Ich glaube, dass eine Zusammenlegung in einer Großen Koalition nicht geht. Weil jeder von den Partnern in einer Großen Koalition ein Stück vom Bildungskuchen will.

Und aus sachlichen Gründen?

Ich habe es sehr positiv empfunden. Aber ja, es war sehr herausfordernd. Da hat man oft nicht Zeit, sich lange und ernsthaft mit Betroffenen an einen Tisch zu setzen.

Sie sagten selbst, dass Sie sich erfolgreich gegen eine rot-grüne Bildungspolitik gewehrt haben. Was ist schwarze Bildungspolitik?

Schwarze Bildungspolitik heißt: Jedem Kind individuelle Entwicklungschancen zu geben und nicht alle über einen Kamm zu scheren.

Das würde wohl jede andere Partei auch unterschreiben.

Die ÖVP stellt eben nicht die Ideologie in der Vordergrund. Nicht die Gesamtschule ist das Nonplusultra, sondern der beste Unterricht, der das Kind in den Mittelpunkt stellt. Das klingt vielleicht nicht sensationell neu, aber das ist das Wichtige.

Es schaut wieder nach einer Großen Koalition aus. Ist das gut?

Ich war selbst Ministerin in einer Großen Koalition und weiß wie es ist: Du musst alles auf den kleinsten gemeinsamen Nenner bringen. Danach war Schüssel ein sehr führungsstarker Kanzler.

Wäre eine Rechtskoalition besser?

Werner Faymann hat den Regierungsauftrag. Die ÖVP ist nicht am Zug.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2013)

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