Auch Unterhalten will gelernt sein

Akrobatin Charly, Absolventin der Zirkusakademie bei ihrer Spezialdisziplin, den Strapaten.
Akrobatin Charly, Absolventin der Zirkusakademie bei ihrer Spezialdisziplin, den Strapaten.(c) Niko Formanek
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Zirkusakrobatik. Die bunte Welt der Jongleure und Akrobaten zieht seit jeher Groß und Klein in den Bann. Noch heute werden Artisten ausgebildet, auch in Österreich.

Manchmal denke ich mir: Wenn du jetzt loslässt, schaut es böse aus. Aber was soll ich machen, ich liebe den Druck und das Adrenalin.“

„Charly“, Charlotte Formanek, ist 21 Jahre alt und Zirkusartistin. Spezialisiert hat sich die Wienerin auf Strapaten, das sind mit Schlaufen versehene Bänder, an denen Kunststücke vollbracht werden. Meist knapp über dem Boden, manchmal aber auch in schwindelerregender Höhe, wie im niederösterreichischen Circus Pikard, in dem Charly zuletzt aufgetreten ist. „Spätestens dann, wenn du in acht Metern Höhe hängst, wird dir anders“, sagt sie. Das Lampenfieber vergeht meist rasch. Als ehemalige National-Synchronschwimmerin weiß Charly nur zu gut, was es heißt, im richtigen Moment zu liefern. Vor wenigen Wochen hat sie ihre Ausbildung an der Wiener Zirkusakademie beendet. Der Artistenschule ist sie aber noch immer sehr verbunden.

Einstieg über Workshops

Wir treffen Charly bei einem der Open-Space-Trainings der Zirkusakademie in der Neuen Sportmittelschule Donaustadt. Hier findet gerade ein besonderer Workshop statt: Zu Gast sind Geschwister von Kindern des Kinderhospiz Netz. Sie sollen auf die Welt des Zirkus neugierig gemacht werden. „Zirkusakademiker“, wie Ruth Schleicher ihre Studierenden liebevoll nennt, führen Einräder vor, erklären Trapeze und richten Vertikaltücher ein. Für solch wichtige Kooperationen sei jetzt die beste Zeit, schließlich sind an Österreichs einziger Zirkusakademie derzeit Semesterferien, erzählt Schleicher. Sie führt gemeinsam mit ihrem Vater, Tilmann Schleicher, die Zirkusakademie, die seit zwei Jahren als eine vom Waff anerkannte Ausbildung gilt. Eine absolute „Herzensangelegenheit“, wie sie sagt: „Völlig zu Unrecht haftet dem Zirkus noch das Image des Straßengewerbes, der Gauklerei, der Horrorclowns und der leichten Bespaßung an. Dabei kann Zirkus so viel mehr. Gerade Zirkuspädagogik ist ein Feld, das zum Glück immer besser angenommen wird.“ Mit der Ausbildung möchte Schleicher aber auch eine Nische in Sachen Artistenausbildung bedienen: „Es heißt immer, in Österreich gebe es keine Artisten, dabei war Wien neben Dresden und Berlin schon immer eine der Zirkushauptstädte. Und wir haben so viele gute Leute, die ausgebildet werden wollen!“

Auf dem Lehrplan des zweijährigen berufsbegleitenden Diplomlehrgangs Grundtechniken des Neuen Zirkus stehen Module wie Körperarbeit & Improvisation, Jonglage & Equilibristik, Akrobatik & Artistik. Vermittelt werden Techniken wie Einradfahren, Straßentheater, Improvisation, aber auch Bodenakrobatik oder Trapez.

Die Lehrenden stammen aus der Praxis: Sie sind freischaffende Zirkuskünstler, Pantomimen, Elementarpädagogen, Clownfrauen, Physiotherapeuten, aber auch Regisseure und Schauspieler. Nach etwa einem Jahr können sich Studierende spezialisieren: Entweder sie entscheiden sich für ein Artistenleben und die Spezialisierung Zirkuskünste oder aber sie wählen Zirkuspädagogik und lernen, Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu unterrichten. Wer sich für Letzteres entscheidet, kann finanzielle Unterstützung vom Waff beantragen. Der Lehrgang kostet 4700 Euro. Berufsbegleitend werden die rund 25 Studierenden abends oder am Wochenende unterrichtet. Freie Trainingseinheiten finden sonntags statt und stehen besonders Eifrigen auch unter der Woche offen.

Der Weg in die Manege

Jene Eifrigen sind es, die Alexander Schneller für seinen Circus Pikard rekrutiert. Sein Ensemble setzt sich aus Familienmitgliedern zusammen, aber auch aus Festangestellten und zahlreichen Gästen. Wie kommt er zu seinen Künstlern? „Der Zirkus ist ein Ort der Begegnung. Oft kommen Artisten zu einer Show und stellen sich vor. Über das Internet ist man zum Glück auch noch einmal mehr vernetzt.“ Sich seine Artisten selbst ausbilden kann Schneller nicht, dafür fehlt dem niederösterreichischen Zirkus die staatliche Zertifizierung zum Ausbildungsbetrieb. Der Großteil seiner Artisten belegt allerdings vertiefende Workshops oder trainiert im Ausland. Er selbst hat schon im zarten Alter von drei Jahren gelernt zu jonglieren. „Am besten ist natürlich, man bekommt es in die Wiege gelegt.“

Schneller rät: Wer tatsächlich seinen großen Durchbruch in der Manege machen möchte, soll möglichst früh mit dem Training beginnen und ins Ausland gehen – nach Paris, Montreal oder Berlin.

Die Staatliche Schule für Artistik Berlin etwa ist mit allgemeinbildendem Unterricht die einzige Schule Deutschlands, die es ermöglicht, staatlich geprüfter Artist zu werden. In neun Jahren erlernen Jugendliche ab der fünften Schulstufe Grundlagen in Kraft, Koordination, Jonglage und Trapez, aber auch künstlerischer Gymnastik und Akrobatik. Das Pädagogenteam der künstlerischen Ausbildung besteht aus nationalen und internationalen ehemaligen Artisten, die ihr praktisches Wissen an die Schüler weitergeben. Durch Auftritte bei Galaveranstaltungen oder in Berliner Varietés bekommen die angehenden Artisten Bühnenerfahrung und lernen Lampenfieber zu bekämpfen.

Show auf dem Kreuzfahrtschiff

Auch Charly Formanek wollte nach ihrer Karriere als Synchronschwimmerin zunächst an die Berliner Artistenschule. Sie ist froh, dass sie sich dennoch für die Ausbildung in Wien entschieden hat: „In Berlin ist alles viel strenger als in der Wiener Zirkusakademie, bei der ich gelernt habe, Spaß am Training zu haben. Hier konnte ich selbst entscheiden, von wem ich lerne und wie oft ich trainiere.“

Bald geht es für Charly ins Ausland: Zunächst für acht Monate als Aerial-Artistin in eines der TUI Magic Life Hotels, im Herbst dann möchte sie als Akrobatin auf dem Kreuzfahrtschiff Aida arbeiten. Kein schlechter Plan: Schließlich sieht sich die junge Strapatenkünstlerin ohnehin weniger in der Manege als auf den großen Showbühnen dieser Welt.

INFORMATION

• Bundesverband für Zirkuspädagogik: www.zirkusnetzwerk.at

Zirkuskurse (Auswahl)

• Circuslust Drosendorf: Einwöchige Kurse für Kinder und Jugendliche, die in in historischen Zirkuswagen wohnen. www.circusluft.com

• MoveArt bietet Kurse und Workshops für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Teams. www.moveart.co.at

• Im Circus KAOS erarbeiten Kinder und Jugendliche eine professionelle Produktion. www.kaos.at

• Die Zirkuswerkstatt bietet offene Trainings für Kinder und Erwachsene.

www.zirkuswerkstatt.at

• Zirkustechniken erlernen Kinder und Jugendliche im Circus Luftikus.

www.juvivo.at

• Der Zirkusverein Mödling bietet Jonglier- oder Einradworkshops als Events für Firmen- und Familienfeiern. www.the-3c.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2019)

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