Neue Mittelschule: Von der schulpolitischen Vision zur erlebbaren Realität

(c) Clemens Fabry
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Über ambitionierte Projekte, mediale Vorverurteilungen und das schwierige Verhältnis von Presse und Politik.

Erwartungsvoller als das abgelaufene Jahr konnte aus Sicht einer Bildungsministerin das Jahr 2011 nicht beginnen: Hannes Androsch und eine Reihe von „MutbürgerInnen“ sorgten mit der Ankündigung eines Bildungsvolksbegehrens nicht nur für ein gewaltiges Rauschen im Blätterwald. Sie sorgten auch für politischen Druck auf Reformen. Der Beitrag des Begehrens – auch wenn manche im Herbst über „nur“ knapp 400.000 Unterschriften enttäuscht sein sollten – war ab Jahresbeginn allein durch die mediale Debatte enorm wichtig: Die Bildungspolitik rückte mehr denn je ins Zentrum, Bundeskanzler Faymann hatte dann auch die ÖVP hinter sich, als er 2011 zum Jahr der Bildungsreform ausrief.

Es entwickelte sich eine Reformdynamik, die auch im internationalen Vergleich absolut herzeigbar ist: Seit meinem Amtsantritt gingen bereits 41 Regierungsvorlagen mit zum Teil tiefgreifenden Reformen aus meinem Ressort durch den Ministerrat, allein im laufenden Jahr wurden neun Großprojekte auf den Weg gebracht. Mein Dank gilt ÖVP-Bildungssprecher Werner Amon, der trotz medialer Vorverurteilung durch fast alle Medien – vom Boulevard bis zur Qualitätspresse – als „Betonierer“ binnen kürzester Zeit zu einem wichtigen, verlässlichen Partner wurde – und mit dem ich gemeinsam ambitionierte Reformprojekte von der Schulaufsicht und im Schulmanagement über den Ausbau der Integration bis hin zur Reform der Oberstufe und zu sozialpolitisch wichtigen Projekten wie dem kostenfreien Nachholen von Bildungsabschlüssen angehen und zum Teil schon verwirklichen konnte.


Hoch interessant war nach den Erfahrungen des Jahres 2010 die Beobachtung, dass abseits medialer Berichterstattung die Bundesländer eine sehr konstruktive Rolle einnehmen können – vor allem bei handfesten Erfolgsprojekten wie „Lehre mit Matura“, Nachholen von Bildungsabschlüssen oder den zentralen Vorhaben der Bildungsreform: der Ganztagsschule (GTS) und der Neuen Mittelschule (NMS). Der Gemeindebund – er spielt als Interessenvertretung der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister eine wichtige Rolle – war dabei immer unterstützend.

Diese beiden Schul-Highlights (NMS und GTS) sind wichtige Weichenstellungen für die Zukunft. Bei der Regierungsklausur wurde im Mai der massive Ausbau der ganztägigen schulischen Angebote beschlossen, es begann die Vorbereitung eines Meilensteins: Zum ersten Mal seit 50 Jahren wird flächendeckend ein neuer Schultyp ins Regelschulwesen übernommen – die Neue Mittelschule. Von Journalisten werde ich oft gefragt: „Ist Ihr neues Projekt tatsächlich die GGS, die gemeinsame ganztägige Schule? Wie realistisch ist so eine ambitionierte Schulreform überhaupt?“

In solchen Momenten macht mir Medienarbeit besondere Freude: „Von der NMS über die GTS zur GGS!“ Denn ich behaupte aus voller Überzeugung: Ja, das ist die Schule der Zukunft. Sie wird sich durchsetzen, die GGS wird Vorbildwirkung ausstrahlen wie ein „Leuchtturm“. Alle NMS bieten eine völlig neue Lehr- und Lernkultur, zwei Drittel der NMS bieten schon jetzt ganztägige Schulformen. Werden durch das Gesetzespaket, das die NMS in die Regelschule überführt, auch letzte Unklarheiten ausgeräumt, die sich aus Sicht kritischer Journalisten bei den derzeitigen Schulversuchen durch regional unterschiedliche Modelle ergeben, wird es einen Siegeszug der NMS geben. Die SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern werden sich für die attraktiveren Angebote entscheiden. Aus heutigen schulpolitischen Visionen wird in einigen Jahren erlebbare Realität.

„Die Presse“ ist ein kritischer, aber umso wichtigerer Begleiter: Mit hart recherchierten, aber fair geschriebenen Beiträgen, die die üblicherweise höchst aufgeregte Kritik im Bildungsbereich in die richtige – sachliche – Dimension rücken. Natürlich haben Kritiker und Puristen der gemeinsamen Schule – dass einige auch in der Redaktion der „Presse“ sitzen, hat selbst mich ein wenig überrascht – recht, dass die Neue Mittelschule nicht mehr und nicht weniger als eine Etappe auf dem Weg zur gemeinsamen Schule der 10- bis 14-Jährigen ist. Dass sie eine wesentliche Etappe ist, weil die NMS eben weit mehr als der Austausch von Türschildern ist, wird naturgemäß von der Opposition bezweifelt und medial debattiert.

Meine Argumente, dass ein stures Festhalten an der „reinen Lehre“ ganzen Generationen nichts genützt hätte und dass die Neue Mittelschule der entscheidende „Türöffner“ für die GGS sein wird, fand zumindest ebenso Eingang in die Berichterstattung der Presse wie die Attacken der Kritiker. Diese Ausgewogenheit ist in Zeiten immer schwierigerer Beziehungen zwischen Politikern und Medien das Optimum dessen, was ich in meiner Ministerinnenrolle erwarten darf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2011)

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