Liessman: PISA-Studie hat keine Aussagekraft

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Am 4. Dezember werden die Ergebnissen der neuen PISA-Studie veröffentlicht. Autor und Philosoph Konrad Paul Liessmann hält den Test für "höchst fragwürdig" und "verzichtbar".

Für "höchst fragwürdig" hält der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann das "hochgepushte, von privaten Konsortien verwaltete PISA-Testverfahren". Schon in seinem 2006 erschienenen Buch "Theorie der Unbildung" setzte er sich sehr kritisch mit dem Ranglisten-Fetischismus bei internationalen Bildungsvergleichsstudien wie PISA oder Uni-Rankings auseinandergesetzt. Weil der Test schon rein aus statistischen Gründen "keine wirklich verbindliche Aussagekraft" habe, könnte man, wie Liessmann betonte, "ohne große Probleme auch darauf verzichten". "Problematisch" sieht er die "bildungspolitische Überdeterminierung" von PISA.

Von den Ergebnissen der neuen PISA-Studie, die am 4. Dezember veröffentlicht werden, erwartet sich Liessmann "weder in die eine noch in die andere Richtung sonderlich Sensationelles". Im Grunde seien die Vorzüge und Nachteile des österreichischen Bildungssystems bekannt. Der Philosoph rechnet aber wieder mit "großem Geschrei", sollte Österreich gegenüber den letzten Tests nicht besser oder sogar schlechter abgeschnitten haben, was nicht unwahrscheinlich sein dürfte.

PISA misst Fähigkeit, PISA zu lösen

"Und es wird wieder diese von mir mit großem Unbehagen verfolgte Richtung eingeschlagen werden, die PISA-Ergebnisse für die jeweiligen bildungspolitischen Intentionen zu verwenden." Genau das hält Liessmann aber für "problematisch: Bildungspolitik über die Motivation eines aus verschiedensten Gründen nicht wirklich über alle Zweifel erhabenen internationalen Testverfahrens zu machen". Denn Tests wie PISA würden in erster Linie eine Kompetenz messen: "die Fähigkeit, Tests wie PISA zu lösen". Ob das allerdings ein relevantes Bildungsziel sein soll, könnte einmal diskutiert werden, so Liessmann.

PISA-Ergebnis und Schulsystem: Keine eindeutige Korrelation

Die neuen PISA-Ergebnisse würden auch in die derzeitige Schulreform-Debatte wieder Öl ins Feuer gießen, und alle - gleich ob Gesamtschul-Befürworter oder -Gegner - würden mit PISA argumentieren. "Das ist ja das Fatale daran, dass es keine eindeutige Korrelation gibt zwischen dem PISA-Ergebnis und einem Schulsystem", so Liessmann, der es für "völlig fahrlässig" hält, von diesem Test auf ein Schulsystem positiv oder negativ rückzuschließen. "Es kann sich jeder rausholen, was er will, und das macht die bildungspolitische Dimension dieses Tests noch fragwürdiger."

Kritisch sieht Liessmann die Entwicklung, dass durch "vordergründig neutral erscheinende" Tests wie PISA auch Bildungsziele definiert würden: "Wenn man solche Tests sehr ernst nimmt, wird man insgeheim die Lehrpläne so gestalten, dass sie den Vorstellungen der PISA-Test-Konstrukteure entgegen kommen." Seit dem 18. Jahrhundert werde aber in der Pädagogik diskutiert, ob die gesetzten Bildungsziele die richtigen seien. "Wenn man sich heute die Ziele vergangener Jahre und Jahrzehnte anschaut, kommt uns mitunter das Grauen. Ob wir heute wirklich so viel klüger sind, weiß ich nicht, vielleicht raufen sich die Pädagogen in zehn Jahren die Haare darüber, was wir derzeit beim PISA-Test abfragen", meinte Liessmann.

Fragwürdig seien diese Tests auch aufgrund des internationalen Vergleichsmaßstabs. "Wir wissen, wie schwierig es ist, Tests zu formulieren, die tatsächlich rein kognitive Leistungen messen, ohne Rücksicht zu nehmen auf die Sprache, den Bildungsstand, die Kultur und die Lehrpläne", sagte der Philosoph, der zudem den im Zusammenhang mit PISA auftauchenden "Sportseiten-Nationalismus" kritisiert, welcher eigentlich der ansonsten so gerne propagierten europäischen Idee widerspreche. Andererseits sei es genau dieser problematische Wettbewerbscharakter mit seinen Ranglisten, der PISA überhaupt erst diese Publizität verliehen habe. Warnungen von Fachleuten etwa bezüglich der Leseschwächen österreichischer Schüler seien vor PISA selten beachtet worden.

Österreich soll gelassen bleiben

Jedenfalls hält Liessmann "Gelassenheit für angesagt", auch wenn Österreich - wider Erwarten - gut abschneiden sollte. "Auch dann würde ich aus denselben Gründen vor Euphorie warnen. Und ein gutes Abschneiden bei PISA schützt auch nicht, wie Finnland zeigt, vor Jugendarbeitslosigkeit, hohen Suizidraten unter Jugendlichen, oder Alkoholismus".

Liessmann hätte nichts dagegen, hin und wieder einen solchen Test durchzuführen, versteht aber nicht, "dass man so tut, als müsste man jedes Jahr das Rad neu erfinden". Jetzt seien gar PISA-Tests für Studierende und für Erwachsene geplant, "da wird die Testerei zu einer pathologischen Erscheinung".

Eine Alternative zu PISA sieht Liessmann nicht und weiß auch nicht, ob es überhaupt eine geben muss. "Es ist auch in den vergangenen Jahrzehnten, als es keine internationalen Tests gegeben hat, weder die Wissenschaft verkümmert, noch der Bildungsstand der Bevölkerung radikal abgesackt". Den organisatorischen und finanziellen Aufwand dafür könnte man auch in andere Bereiche stecken, etwa in eine intelligente Diskussion über die Inhalte der Bildung oder in eine bessere Lehrerbildung, und so mindestens soviel für das Bildungssystem tun wie durch das notorische Testen". (APA)

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